14. Cap. Die Persönlichkeit des Sohnes aus einigen Theophanien des alten Testamentes erwiesen.
Uns, die wir behaupten, dass Vater und Sohn zwei Personen seien, kommt auch noch der Glaubenssatz zu statten, dass Gott unsichtbar ist. Als nämlich Moses in Ägypten nach dem Anblicke Gottes verlangte und sprach: „Wenn ich also Gnade finde vor Dir, so offenbare Dich mir, so dass ich Dich deutlich sehe,”1 da hiess es: „Du kannst mein Angesicht nicht sehen; denn kein Mensch wird das Angesicht Gottes sehen und leben”,2 d.h. wer es sieht, wird sterben. Wir finden nämlich, dass Gott von vielen gesehen wurde und doch keiner von ihnen gestorben ist. Gott liess sich nämlich sehen in einer der Fassungskraft der Menschen entsprechenden Weise, nicht in der Fülle der Gottheit. Von Patriarchen, z. B. Abraham und Jakob, und von Propheten, z. B. Isaias und Ezechiel, wird erzählt, dass sie Gott gesehen haben, und sie sind doch nicht gestorben. Folglich hätten sie entweder sterben müssen, wenn sie ihn sahen; denn „kein Mensch wird Gott sehen und leben”, oder wenn sie Gott gesehen haben und doch nicht starben, so lügt die heilige Schrift, wenn sie als Ausspruch Gottes hinstellt: „Wenn ein Mensch mein Angesicht sieht, so wird er nicht leben”, oder sie lügt, wenn sie berichtet, Gott sei nicht gesehen worden, oder endlich sie lügt, wenn sie berichtet, er sei gesehen worden. Folglich wird der ein anderer sein, der gesehen wurde, weil dieselbe Person, die gesehen wurde, nicht für unsichtbar erklärt werden kann. Die weitere Folge würde sein, dass wir den Vater hinsichtlich der Fülle seiner Majestät als unsichtbar, den Sohn, entsprechend der geringern Stufe seines abgeleiteten Wesens, als sichtbar ansehen, wie wir ja auch die Sonne selbst nicht ansehen können, d. h. die Gesamtmasse ihrer Substanz, die sich am Himmel befindet; ihre Strahlen aber vermögen wir zu ertragen, wegen der mässigen Teilchen, die davon bis zur Erde dringen.
In bezug auf diesen Punkt wird die Gegenpartei nun wohl behaupten wollen, auch der Sohn sei unsichtbar, wie das Wort und der Geist, und S. 529 indem sie bei Vater und Sohn gleiche Beschaffenheit fordert, umsomehr die Identität von Vater und Sohn behaupten. — Doch wir haben gesagt, dass die hl. Schrift sich zu gunsten des Unterschiedes ausspricht durch Unterscheidung eines Sichtbaren und eines Unsichtbaren. Sie spinnen nämlich ihren Scheinbeweis also fort: Wenn es der Sohn war, der damals3 zu Moses redete, so hätte er ja selber von sich ausgesagt, sein Angesicht sei für niemand sichtbar. Denn er war der unsichtbare Vater selber unter dem Namen des Sohnes. Infolge dessen, meinen sie, müsse er für sichtbar und zugleich auch für unsichtbar gehalten werden in derselben Weise, wie Vater und Sohn identisch seien. Ein wenig weiter oben,4 bevor der Herr dem Moses den Anblick seines Angesichtes versagte, heisse es nämlich: „Er habe mit ihm in der Nähe gesprochen”, wie ein Freund mit seinem Freunde; ungefähr so wie Jakob gesagt hat: „Ich sah den Herrn von Angesicht zu Angesicht.”5 Also sei der Sichtbare und der Unsichtbare ein und derselbe und weil beides, deshalb sei auch der unsichtbare Vater sichtbar, insoweit er Sohn sei.
Das klingt nun, als ob unsere Schriftauslegung, nachdem die Unsichtbarkeit des Vaters für sich sicher gestellt ist, nicht auf den Sohn passe. Wir lehren nämlich, dass der Sohn an und für sich unsichtbar sei, insofern er Gottes Wort und Geist ist, schon jetzt infolge seiner substanziellen Beschaffenheit dann auch, insofern er Gott, Wort und Geist Gottes ist; dass er aber vor der Annahme des Leibes in der Art sichtbar gewesen sei, wie er zu Aaron und Maria sagt: „Wenn ein Prophet unter Euch ist, so werde ich ihm im Gesichte erscheinen und im Traume zu ihm reden; nicht werde ich zu ihm reden, wie ich zu Moses reden werde von Angesicht zu Angesicht, in der Erscheinung”,6 d. h. in der Wirklichkeit „und nicht im Rätsel”, d. h. nicht im Bilde. So sagt auch der Apostel: „Jetzt sehen wir gleichsam durch den Spiegel in Rätseln, dann aber von Angesicht zu Angesicht.”7 Da er dem Moses also seinen Anblick und das Reden von Angesicht zu Angesicht noch für die Zukunft aufspart8 — dies ging nämlich auf dem Berge (Tabor) in der Einsamkeit in Erfüllung, wie wir im Evangelium lesen, dass er erschienen sei und mit Moses geredet habe, — so leuchtet ein, dass Gott, d. h. der Sohn Gottes, vorher immer nur im Spiegel, in Rätseln, in Gesichten und Träumen erschienen sei, sowohl den Propheten und Patriarchen, als auch dem Moses selber noch. Und selbst dann, wenn der Herr allenfalls aus der Nähe ihm in's Angesicht redete, so hätte er, Mensch wie er war, doch sein Angesicht, nicht wie es ist, sondern nur im Spiegel und in Rätseln gesehen.
S. 530 Endlich, wenn der Herr mit Moses in der Weise redete, dass Moses dessen Angesicht nahe wusste, wie konnte letzterer dann sofort und auf dem Fleck wieder das Verlangen haben, Gottes Angesicht zu sehen, da er, wenn er es gesehen hätte, ja dies nicht mehr verlangt haben würde? Wie kann ihm der Herr abschlagen, ihn sein Antlitz sehen zu lassen, wenn sich die Sache nämlich so verhielt, da er es ihm schon gezeigt hatte. Oder was soll das für ein Antlitz Gottes sein, dessen Anblick versagt wird, wenn es schon gesehen worden war? „Ich habe Gott”, sagt Jakob, „von Angesicht zu Angesicht gesehen und meine Seele ist gerettet.”9 Das Antlitz Gottes, dessen Anblick tötet, müsste dann ein anderes zweites sein?! Oder wurde der Sohn zwar gesehen, aber geschah auch dies, obwohl er Gesicht, nur in einer Vision, Traumerscheinung, Spiegel und Rätsel, weil Wort und Geist nur in einer imaginären Form in die Sichtbarkeit treten können? Als sein Antlitz aber bezeichnet er den Vater. Wer ist denn der Vater? Wird er nicht das Antlitz des Sohnes sein von wegen seiner Autorität, die der Erzeugte vom Vater erlangt? Denn kann nicht passender Weise in betreff einer andern höheren Person auch gesagt werden: Jener ist mein Antlitz und gibt mir das Antlitz. „Der Vater”, heisst es, „ist grösser als ich.”10 Der Vater wird also das Antlitz des Sohnes sein. Denn wie sagt die Schrift? „Der Geist seines Mundes, der Gesalbte des Herrn”.11 Also wenn Christus der Geist des Mundes des Vaters ist, so hat mit Recht der Geist den, dessen Mund er war, d. h. den Vater, für sein Antlitz ausgegeben infolge der Einheit. Wunderbar in der That, wenn der Vater als Antlitz des Sohnes genommen werden kann, er, der ja sein Haupt ist. „Das Haupt Christi nämlich ist Gott.”12
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II. Mos. 33, 13. ↩
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Ebend.[II. Mos. 33] v. 20. ↩
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II. Mos. 33, 20. ↩
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II. Mos. 33, 11. ↩
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Gen. 32, 30. ↩
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IV. Mos. 12, 6, 8. ↩
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I. Kor. 13, 12. ↩
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Tertullian kommt zu dieser Art Argumentation, weil er IV. Mos. 12, 8 das Futurum las: loquar statt loquor. ↩
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I. Mos. 32, 30. ↩
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Joh. 14, 28. ↩
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Klagel. 4, 20. Spiritus oris nostri. Persona (sonare) glaube ich hier mit Mund wiedergeben zu müssen. ↩
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I. Kor. 11, 3. ↩