8. Cap. Ob und in welchem Sinne der Sohn eine Probole (Hervorbringung) des Vaters genannt werden könne?
Wenn sich jemand einbilden sollte, ich wollte hiermit eine sog. Probole, d. h. Hervorbringung eines Dinges aus einem andern, einführen, wie Valentinus thut, indem er einen Äon nach dem andern aus dem Äon hervorgehen lässt, so entgegne ich erstens, soll sich die richtige Lehre dieses Ausdrucks, der Sache und ihrer Herleitung deshalb etwa nicht bedienen, weil sich die Häresie derselben bedient?1 Umgekehrt, die Häresie hat ja der Wahrheit das entnommen, worauf sie ihre Lügen gründet. Ich frage, ist das Wort Gottes hervorgebracht worden oder nicht? Halte diese Position mit mir fest! Ist es hervorgebracht worden, so erkenne mit mir die Probole der richtigen wahren Lehre an, und die Häresie mag dann sehen, wie sie zurechtkommt, wenn sie der Wahrheit etwas nachgeäfft hat.
Für jetzt fragt es sich hier, wer sich der Sache und der Bezeichnung dafür bedient, und wie? Valentinus macht einen Unterschied unter den Wesen, die er Probole nennt, trennt sie von ihrem Urheber und rückt sie so weit von einander, dass der Äon seinen Vater nicht mehr kennt. Schliesslich verlangt ersterer sogar, ihn kennen zu lernen, und kann es nicht, ja er wird fast aufgezehrt und in die übrige Substanz aufgelöst. Bei uns kennt der Sohn allein den Vater, er hat den Schooss des Vaters selbst beschrieben;2 er hat beim Vater alles gehört und gesehen, und was ihm vom Vater aufgetragen worden ist, das verkündet er; er thut nicht seinen Willen, sondern den des Vaters, den er ganz genau, ja sogar von Anfang an gekannt hat. „Denn wer weiss, was in Gott ist, als der Geist, der in ihm ist”?3 Das Wort ist aber auf den Geist gebaut, ja es ist gewissermaassen der Körper des Geistes. Das Wort ist also stets im Vater, wie es heisst: „Ich bin im Vater”4 und stets bei dem Vater, wie geschrieben steht: „Das Wort war bei Gott”5 und es ist niemals vom S. 519 Vater getrennt, noch ein anderes als der Vater. Denn — „ich und der Vater sind eins”.6
Das ist die Probole in der richtigen Lehre, die Wahrerin der Einheit, wonach wir den Sohn vom Vater hervorgebracht, aber nicht abgesondert sein lassen. Gott hat nämlich, wie auch der Paraklet lehrt, das Wort hervorgebracht, wie eine Wurzel den Schössling, eine Quelle den Bach oder die Sonne den Strahl. Denn auch diese Einzelwesen sind eine Probole der Substanzen, aus denen sie hervorgehen. Ich würde gar keinen Anstand nehmen, auch den Sohn Schössling der Wurzel, Bach der Quelle und Strahl der Sonne zu nennen. Denn jeder Ursprung ist ein Vater, und alles, was aus dem Ursprung hervorgeht, ist ein Abkömmling davon, noch viel mehr also das Wort Gottes, welches sogar im eigentlichen Sinne den Namen Sohn bekommen hat. Der Schössling reisst sich ebenso wenig von der Wurzel, der Bach von der Quelle und der Strahl von der Sonne los, als das Wort von Gott. Nach Analogie solcher Beispiele rede ich also, wie ich gestehe, von zweien, von Gott und seinem Wort, vom Vater und seinem Sohn. Denn auch der Schössling und die Wurzel sind zweierlei Dinge, aber sie sind verbunden; der Bach und die Quelle zwei verschiedene Einzelwesen aber ungeteilt; die Sonne und der Strahl zwei Formen, aber zusammenhängend. Alles, was aus irgend etwas anderem hervorgeht, ist notwendig das zweite nach dem, woraus es hervorgeht, aber darum doch nicht von ihm getrennt. Wo ein zweiter ist, da sind zwei, und wo ein dritter, drei. Der dritte ist nämlich der Geist7 von Vater und Sohn, wie das dritte die aus dem Schössling hervorgehende Frucht, der aus dem Bach von der Quelle entstehende Fluss, das aus dem Strahl von der Sonne kommende Lichtflämmchen. Nichts jedoch wird von seinem Mutterwesen, woraus es seine Eigenschaften ableitet, losgerissen. So thut auch die Dreifaltigkeit, die vom Vater durch zusammenhängende und an einander gefügte Stufen herkommt, der Monarchie keinen Eintrag, sondern leistet dem Wesen der Ökonomie Vorschub.