Fünfundsiebenzigstes Hauptstück.
Obwohl man aber einsieht, daß sowohl nach dem gemeinen Begriffe, als auch nach den göttlichen Zeugnissen zwischen Aehnlichkeit und Gleichheit kein Unterschied sey; da nämlich nach Moses und Johannes der Sohn dem Vater sowohl ähnlich, als auch gleich ist; so wollen wir doch sehen, ob der Herr, als die Juden zürnten, daß er Gott seinen Vater genannt und sich dadurch Gott selbst gleich gemacht S. 410a26 habe, lehrte, daß er Gott gleich sey. Er sagt nämlich:1 „Der Sohn kann nichts von sich selbst thun, was er nicht den Vater thun sieht.“ Er hat den Urheber unterschieden, wenn er sagt: „Er kann nicht von sich selbst thun.“ Er zeigt den Gehorsam an, indem er beifügt: „Was er nicht den Vater thun sieht.“ Denn nicht können, ohne zu sehen, ist nicht Verschiedenheit der Macht, weil mehr die Natur, als das Sehen die Kraft gewährt. Aber es ist Gehorsam, dann können, wann er sieht. Und so gibt er dadurch, daß er erst dann kann, wann er sieht, zu verstehen, daß er nicht durch das Sehen die Kraft erhalte, sondern daß er durch den Urheber des Sehens die Macht zuvor erhielt. Also ist die Macht der Natur in dem Vater und dem Sohne nicht verschieden; da ihm die Macht, das zu können, was der Vater kann, nicht das Fortschreiten durch irgend eine Zunahme der Natur gewährt, sondern das Beispiel des Urhebers. Endlich ist die Ehre, welche durch die Unterwerfung bewahrt wurde, durch die Macht der Natur gleich gemacht worden. Denn er fügte bei: „Denn Alles, was derselbe thut, ebendasselbe thut auf ähnliche Weise2 auch der Sohn.“ Ist nun die Aehnlichkeit3 nicht gleich? Sie ist völlig gleich, auch wenn wir es läugnen; denn „er thut ebendasselbe auf ähnliche Weise.“ Sind etwa Dinge, welche auf ähnliche Weise gethan wurden, nicht ebendieselben? Oder lassen ebendieselben Dinge die Gleichheit nicht zu? Oder ist irgend ein anderer Unterschied zwischen ähnlich und gleich, da man doch sieht, daß Dinge, welche auf ähnliche Weise gethan werden, ebendieselben werden? Es müßte nur etwa Jemand sagen, daß Dinge, welche ebendieselben sind, nicht gleich seyen, so daß das, was ähnlich ist, nicht gleich genannt würde; obwohl gelehrt wird, daß das, was auf ähnliche Weise gethan wird, nicht nur gleich, sondern dasselbe werde. S. 410a27
