4. Unsere Frevel machen es Gott unmöglich, uns zu beschützen
So verhält es sich wirklich. Siehe, was alle oder fast alle Römer treiben! Und wenn es so ist, klagen wir, die wir solches tun, daß wir von der Gottheit vernachlässigt werden. Wir sagen, Gott verlasse uns, während doch wir Gott verlassen. Nehmen wir nämlich an, daß unser Herr sich um uns bekümmern wollte, auch wenn wir es nicht verdienen: laßt uns sehen, ob er es könnte! Zahllose Tausende von Christen weilen heutzutage bei Vorführungen von schändlichen Dingen. Kann Gott nun auf solche Menschen Rücksicht nehmen? Kann er sich um die kümmern, die im Zirkus toben, die in den Theatern ehebrechen? Oder wünschen wir vielleicht oder halten wir es für würdig, daß Gott, wenn er uns im Zirkus und im Theater sieht, auch das mit uns anblickt, was wir sehen, und mit uns die gleichen Schändlichkeiten wahrnimmt, die wir wahrnehmen? Denn eines von beiden ist notwendig: entweder, daß er, wenn er sich würdigt, auf uns zu schauen, folglich auch das sieht, was an unserem Aufenthaltsort geschieht, oder daß er, wenn er von diesen Dingen - worüber kein Zweifel besteht - die Augen abwendet, in gleicher Weise sie auch von uns wendet, die wir dort weilen. Und trotz dieser Tat- S. 184 sachen handeln wir doch, wie ich geschildert habe, und zwar ohne Unterlaß. Oder glauben wir vielleicht nach Art der alten Heiden, wir hätten einen eigenen Gott für Theater und Zirkus? Jene handelten nämlich einst so, weil sie glaubten, ihre Götter hätten Wohlgefallen an diesen Dingen. Warum tun wir solches, die wir sicher wissen, daß unser Gott das haßt? Gewiß, wenn wir wüßten, daß Gott diese Schändlichkeiten gefallen, dann würde ich nicht verhindern, sie unaufhörlich zu begehen. Wenn es aber in unserem Gewissen lebt, daß Gott das verabscheut und verflucht, daß in diesen Dingen ein Vergnügen für den Teufel und ebenso eine Beleidigung Gottes liegt, wie können wir da sagen, wir verehren Gott in der Kirche, da wir doch in der Schamlosigkeit der Spiele immer dem Teufel dienen, und das mit vollem Bewußtsein, mit Absicht und mit Fleiß? Und was für eine Hoffnung werden wir bei Gott haben, so frage ich, die wir nicht zufällig oder aus Unwissenheit Gott verletzen, sondern wie die Giganten, von denen wir lesen, daß sie in wahnsinnigem Streben sich am Himmel versuchten und zu den Wolken emporsteigen wollten? So bestürmen auch wir durch die Beleidigungen, die wir Gott in der ganzen Welt immer zufügen, sozusagen mit Einwilligung aller, den Himmel. Christus also - o ungeheuerlicher Wahnsinn! - Christus bieten wir Zirkusspiele und Mimen dar, und besonders dann, wenn wir von ihm etwas Gutes bekommen, wenn unser Wohlergehen von ihm gesteigert wird, oder wenn uns die Gottheit einen Sieg über die Feinde schenkt, Was tun wir da augenscheinlich anderes, als wenn wir einen Wohltäter beleidigten, oder einen, der freundlich zu uns spricht, mit Beschimpfungen überschütteten, oder einem, der uns küßt, den Dolch ins Gesicht stießen? Ich frage alle Mächtigen und Reichen dieser Welt, was für eine Strafe der Knecht verdient, der gegen einen guten und gnädigen Herrn Schlimmes sinnt, ihn, der Dank verdiente, beschimpft, und ihm S. 185 die Freiheit, die er empfangen, mit Schmähungen vergilt. Ohne Zweifel wird der des größten Verbrechens für schuldig erklärt, der Gutes mit Schlechtem vergilt, obgleich er nicht einmal Schlechtes mit Schlechtem vergelten dürfte. Das also tun auch wir, die wir Christen heißen; wir erzürnen den barmherzigen Gott durch unsere Unsittlichkeit; wir verletzen den Gütigen durch unser schmutziges Leben; den zärtlich Liebenden verwunden wir durch unsere Sünden.
