10. Er erklärt, was Christum bekennen heisse, und was ihn aufhebe.
Das ist es nun, was auf Offenbarung des Herrn jener Liebling Gottes, Johannes, voraussah, und Folgendes von Jenem sprach, der in ihm redete. Er sagt also:1 „Jeder Geist, der da bekennt, daß Jesus im Fleische gekommen sei, ist aus Gott, und jeder Geist, welcher Jesum auflöst, ist nicht aus Gott, und das ist Sache des Widerchrists, von dem ihr gehört habt, daß er kommt, und nun ist er schon in der Welt.“ O wunderbare und einzige Güte Gottes, der wie der vorsichtigste und klügste Arzt die einst über S. 538 seine Kirche kommenden Krankheiten zuvor geweissagt hat, und der, gerade indem er die Schwäche vorhersagte, durch die Vorhersagung selbst ein Heilmittel bot, damit nemlich Alle durch die Erkenntniß der hereinbrechenden Krankheit gleich Anfangs und schon von weiter Ferne Das vermeiden könnten, über dessen Nahen sie unterrichtet wären. Deßhalb sagt der hl. Johannes: „Jeder, welcher Jesum auflöst, ist nicht aus Gott, und das ist Sache des Antichrist.“ Verstehst du ihn, o Häretiker? Siehst du ein, daß er laut und deutlich schon von dir geredet habe? Denn Niemand hebt Jesum so auf, wie Der, welcher ihn nicht als Gott bekennt. Denn da der ganze Glaube und der ganze Gottesdienst der Kirche darin besteht, Jesum als wahren Gott zu bekennen: wer kann da die Verehrung und Anbetung desselben mehr auflösen, als wer Alles an ihm läugnete, was wir alle verehren? Hüte dich also, ich beschwöre dich, hüte dich, daß dich nicht Jemand auch noch Antichrist nenne! Du glaubst wohl, daß ich schmähe oder bösartig rede? Es ist nicht von mir, was ich sage, sondern siehe, der Evangelist spricht: „Jeder, welcher Jesum auflöst, ist nicht aus Gott, und das ist der Antichrist.“ Wenn du Jesum nicht auflösest, und seine Gottheit nicht läugnest, so kann dich Niemand Antichrist nennen. Wenn du sie aber läugnest, was willst du irgend Einen anklagen, daß er dich so geheissen hat? Du hast dich ja selbst so genannt, du sage ich, indem du läugnest. Willst du wissen, ob Dieß wahr sei? Sage mir, was soll nach dir Jesus gewesen sein, da er aus der Jungfrau geboren wurde, Mensch oder Gott? Wenn nur Gott, so lösest du in der That Jesum auf, da du ja läugnest, daß in ihm der Mensch mit Gott vereint gewesen sei. Wenn aber Mensch, so lösest du ihn gewiß nichts desto weniger auf, da du ja wirklich die Gotteslästerung aussprichst, es sei nur ein Mensch geboren worden. Du müßtest nur etwa meinen, daß du ihn nicht auflöst, wenn du läugnest, daß er Gott gewesen sei; da du ihn doch sicher auflösen würdest auch durch die Läugnung, daß er als Mensch mit Gott geboren worden sei. Aber vielleicht willst du, daß dir Das S. 539 durch Beispiele klarer gemacht werde. Höre nun davon über Beides! Der Manichäer ist ausserhalb der Kirche, da er behauptet, daß Jesus nur Gott gewesen sei, und Hebion ist draussen, weil er ihn nur für einen Menschen erklärt. Denn Jeder läugnete Jesum und löste ihn auf, der eine durch seine Behauptung, daß er nur Mensch, der andere, daß er nur Gott gewesen sei. Obwohl sie nemlich Verschiedenes gesagt haben, so ist doch in der Verschiedenheit die gleiche Gottlosigkeit. Ja, wenn vielleicht unter der Größe der Untathen irgend eine Unterscheidung stattfinden kann, so ist deine Gotteslästerung, welche nur den Menschen gelten läßt, sündhafter als jene, welche den bloßen Gott annimmt; weil, obwohl Beides böse ist, man doch den Herrn mehr schmäht, wenn man ihm das Göttliche, als wenn man ihm das Menschliche raubt. Es ist also nur Dieß der katholische, nur Dieß der wahre Glaube, daß man unsern Herrn Jesus Christus wie für Gott, so auch für einen Menschen, und wie für einen Menschen, so auch für Gott hält. „Jeder, der Jesum auflöst, ist nicht aus Gott;“ auflösen heißt aber Das, was in Jesus geeint ist, zerreissen wollen, und was untheilbar ist, trennen wollen. Was ist nun aber in Jesus geeint und untheilbar? Wahrhaftig der Mensch und Gott. Also Jener löst Jesum auf, welcher Dieß trennt und zerreißt. Anders, wenn einer nicht zerreißt und trennt, so löst er auch nicht auf. Wenn er aber trennt und zerreißt, so löst er doch gewiß auf.
I. Joh. 4, 2. 3. Anders die Vulgata. ↩
