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Ich aber erkläre folgendermaßen: Jeder eingeborene Sohn ist auch der erstgeborene, doch nicht jeder Erstgeborene ist der Eingeborene. Erstgeborener ist nämlich nicht nur jener, auf den keiner mehr folgt, sondern auch der, welchem niemand vorangeht. Der Herr spricht zu Aaron: „Alles, was den Mutterschoß öffnet von allem Fleische, das dem Herrn geopfert wird, vom Menschen bis zum Vieh, soll dein sein. Doch die menschliche Erstgeburt soll man mit Gold loskaufen, ebenso die Erstgeburt der unreinen Tiere“1 . Das Wort Gottes selbst hat erklärt, was unter Erstgeburt zu verstehen ist: „Alles, was den Mutterschoß öffnet“. Wenn aber nur derjenige Erstgeborener genannt wird, auf welchen noch Brüder folgen, dann schuldet man auch den Priestern die Erstgeburt erst, wenn eine weitere Geburt erfolgt. Es könnte ja sonst, wenn keine weitere Geburt erfolgt, ein Sohn der ein-, aber nicht der erstgeborene sein. Es heißt weiter: „Der Loskauf soll innerhalb eines Monats erfolgen um den Preis von fünf Sekeln. Der Sekel, nach dem Sekel des Heiligtums berechnet, beträgt zwanzig Obolen. Nur die Erstgeburt der Kälber und der Lämmer und der Ziegen sollst du nicht loskaufen, weil sie heilig sind“2 . Das Wort Gottes zwingt mich, alles, was den Mutterschoß öffnet, Gott zu geloben, wenn es sich um reine Tiere S. 273handelt, oder es loszukaufen, wenn die Tiere unrein sind, indem ich dem Priester eine Taxe zahle. Ich könnte nun erwidern und sagen: „Warum legst du mir denn die Pflicht binnen Monatsfrist auf? Warum nennst du den einen Erstgeborenen, von dem ich nicht weiß, ob ihm noch Brüder folgen? Warte doch, bis der zweite geboren ist! Erst dann habe ich eine Schuld an den Priester, wenn auch der ins Leben getreten ist, durch dessen Geburt der früher zur Welt Gekommene erst zum Erstgeborenen wird“. — Werden aber nicht sogar die Buchstaben reden und mich der Torheit beschuldigen, weil ich den, der überhaupt den Mutterschoß öffnete, Erstgeborenen genannt habe, nicht bloß den, der noch Brüder besitzt? Dann frage ich, ob Johannes, von dem feststeht, daß er der eingeborene Sohn war, auch der erstgeborene gewesen sei. War er nicht nach dem Gesetze ganz und gar diesem Gesetze unterworfen? Ohne Zweifel, ja. — Vom Erlöser sagt die Schrift: „Als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetze des Moses zu Ende waren, brachten sie ihn nach Jerusalem, um ihn Gott aufzuopfern, wie geschrieben steht im Gesetze des Herrn: Alles Männliche, das den Mutterschoß öffnet, soll dem Herrn geheiligt werden, und um dem Gesetze des Herrn gemäß Opfer darzubringen, ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben“3 . Wenn dieses Gesetz nur für die Erstgeborenen gilt, der Name „Erstgeborener“ aber bedingt ist durch die Geburt weiterer Söhne, dann durfte auch das auf den Erstgeborenen Bezug nehmende Gesetz bei dem nicht in Anwendung kommen, von dem man nicht wissen konnte, ob ihm noch Brüder folgen würden. Weil aber das Gesetz über die Erstgeborenen auch den einbegreift, auf welchen keine weiteren Brüder folgen, so ergibt sich, daß der Name Erstgeborener jedem zukommt, welcher den Mutterschoß öffnet, und vor welchem kein anderer geboren ist, nicht bloß demjenigen, auf welchen ein später geborener Bruder folgt. Moses schreibt im Buche Exodus: „Um Mitternacht tötete der Herr alle Erstgeburt in Ägypten, vom Erstgeborenen Pharaos, der auf dem S. 274Throne saß, bis zum Erstgeborenen der Gefangenen im Kerker, und alle Erstgeburt des Viehes“4 . Antworte nun: „Sind diejenigen, die vom Würgengel getötet wurden, nur Erstgeborene oder auch Eingeborene gewesen?“ Wenn nur solche Erstgeborene genannt werden, die Brüder haben, dann sind die Eingeborenen vom Untergange frei geblieben. Wenn aber auch die Eingeborenen umkamen, so starben entgegen dem Urteil neben den Erstgeborenen auch die Eingeborenen. Entweder mußt du die Eingeborenen von der Strafe ausnehmen, dann machst du dich lächerlich, oder du gibst zu, daß sie dem Tode zum Opfer fielen, und dann behaupten wir dir zum Trotz, daß auch die Eingeborenen Erstgeborene heißen.
