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S. 288Und wenn ich jetzt einen kurzen Vergleich anstelle zwischen dem jungfräulichen und dem ehelichen Stande, so bitte ich meine Leser, nicht zu glauben, daß ich das Eheleben im Interesse der Jungfräulichkeit herabsetze und einen Unterschied aufstelle zwischen den Heiligen des Alten und denen des Neuen Bundes, mit anderen Worten, zwischen jenen, die verheiratet waren, und jenen, die des ehelichen Umganges sich völlig enthalten haben. Ich will nur sagen, daß jene den Zeitverhältnissen entsprechend einer anderen Bestimmung lebten als wir, über welche das Ende der Zeiten hereingebrochen ist1 . Solange das Gesetz bestand: „Wachset und mehret euch und erfüllet die Erde“2 , „Verflucht sei die Unfruchtbare, die keinen Samen gebar in Israel“3 , heirateten alle und wurden verheiratet, um die Eltern zu verlassen und ein Fleisch zu werden. Dann aber erging das Wort: „Die Zeit ist abgekürzt; es bleibt nur übrig, daß diejenigen, welche Gattinnen haben, so sind, als hätten sie keine“4 . „Wenn wir dem Herrn anhängen, werden wir ein Geist mit ihm“5 . Und weshalb? Weil derjenige, welcher ohne Gattin ist, an das denkt, was Gottes ist und wie er Gott gefalle. Wer aber ein Weib hat, der ist besorgt um das, was von dieser Welt ist, und darauf aus, wie er seiner Frau gefalle. Und das Weib ist geteilt. Aber die Jungfrau, die nicht vermählt ist, ist auf das bedacht, was Gottes ist, auf daß sie heilig sei an Körper und Geist. Denn die Verheiratete sorgt sich um das, was von der Welt ist, wie sie dem Gatten gefalle6 . Was bellst du S. 289dagegen, was widersprichst du? Es ist das Gefäß der Auserwählung, welches spricht: „Geschieden ist das Weib von der Jungfrau“7 . Siehe einmal, welches Glückes sie teilhaftig wird, wie sie sogar die Bezeichnung des Geschlechtes verliert. Die Jungfrau wird ja gar nicht mehr Weib genannt. „Die nicht verheiratet ist, denkt an das, was Gottes ist, damit sie heilig sei an Leib und Geist“8 . Der Jungfrau Bestimmung besteht darin, heilig zu sein an Körper und Geist, weil es einer Jungfrau nichts nützt. Fleisch zu tragen, wenn sie im Geiste heiratet. „Die aber verheiratet ist, ist auf das Weltliche bedacht, wie sie ihrem Mann gefalle“9 . Kommt es etwa für dich auf das gleiche heraus, Tag und Nacht dem Gebete zu weihen und zu fasten, oder bei Ankunft des Gatten ein freundliches Gesicht zu machen, ihm entgegenzueilen, Schmeichelreden zu heucheln? Jene sinnt darauf, noch häßlicher auszusehen und die natürlichen Vorzüge zu entstellen. Diese aber schminkt sich im Spiegel, und ihrem Schöpfer zum Trotz sucht sie schöner zu sein, als die Natur es gegeben hat. Dann schwatzen die Kleinen, das Gesinde lärmt, da hängen an ihren Küssen und an ihrem Munde die Kinder, man rechnet die Ausgaben zusammen, man richtet sich auf den nötigen Aufwand ein. Hier zerhackt die geschäftige Schar der Köche das Fleisch, und eine Reihe von Weberinnen flüstert zusammen. Unterdessen trifft die Meldung ein, daß der Herr mit seinen Gästen angekommen ist. Die Herrin durchmustert nach Art der Schwalbe alle Gemächer, ob das Polster aufgefüllt und der Fußboden gescheuert ist, ob die Becher sauber sind, ob das Mahl fertig dasteht. Ich bitte dich, mir Auskunft darüber zu geben, wo bei all diesen Beschäftigungen ein Gedanke an Gott Platz hat? Und dies sollen glückliche Häuser sein! Übrigens, wo die Pauken erschallen, wo die Flöte geblasen und die Leier geschlagen wird, wo die Zimbel lärmt, was für eine S. 290Gottesfurcht wohnt da? Der Schmarotzer gefällt sich in Schmähreden; es treten ein der bösen Lust preisgegebene Opfer, welche bei ihrer dünnen Kleidung sozusagen nackt den schamlosen Blicken sich aussetzen. An diesen Dingen ergötzt sich nun die unglückliche Gattin und geht zugrunde, oder sie nimmt Anstoß daran und gerät mit ihrem Gatten in Streit. Daher kommt die Zwietracht, die Pflanzstätte der Ehescheidung. Wenn es aber ein Haus gibt, welchem solche Dinge fremd sind, was für ein seltener Vogel ist das nicht? Doch wen würden die Verwaltung des Hauswesens, die Erziehung der Kinder, die Bedürfnisse des Mannes, die Zurechtweisung der Dienstboten nicht vom Gedanken an Gott ablenken? Die Heilige Schrift sagt: „Es ging Sara nicht mehr nach Art der Weiber“10 . Darauf wird zu Abraham gesagt: „In allem, was Sara dir sagt, höre auf ihre Stimme“11 . Sie, die nichts mehr zu tun hat mit den Beschwerden und den Schmerzen der Geburt, die nach Ausbleiben der Menstruation aufgehört hat, eine Frau zu sein, wird frei vom göttlichen Fluche. Sie schmachtet nicht mehr nach dem Manne, sondern im Gegenteil, der Mann wird ihr unterstellt, und ihn trifft das Gebot des Herrn: „In allem, was Sara zu dir spricht, höre ihre Stimme“12 . Und so beginnen sie, dem Gebete obzuliegen; denn solange die eheliche Pflicht geleistet wird, leidet die Beharrlichkeit im Gebete.
Die Stelle macht den Eindruck, als ob Hieronimus in jüngeren Jahren chiliastischen Lehren zugänglich gewesen sei. Später hat er diese Häresie mit aller Entschiedenheit bekämpft, z. B. comnm. in Agg. 2, 16 ff.; comm in Soph. 8, 19. Da Origenes entschiedener Gegner des Chiliasmus war, bleibt es unklar, wer Hieronymus solohe Vorstellungen vermittelt hat. ↩
Gen. 1, 28. ↩
Nach Angabe des Sabatierforschers J. Denk handelt es sich um ein Agraphon. ↩
1 Kor. 7, 29. ↩
1 Kor. 6, 17. ↩
1 Kor. 7, 32-24. ↩
Hieronymus folgt hier einer anderen Lesart: divisa est mulier et virgo, vgl. hierzu Trzcinsky, 118 f. Anm. 1, ↩
1 Kor. 7, 34. ↩
1 Kor. 7, 34. ↩
Gen. 18, 21. ↩
Gen. 21, 12. ↩
Gen. 21, 12. ↩
