3.
Soll das etwa heißen: „Führe in jungen Jahren ein Schwelgerleben, damit du später die Schwelgerei um so entschiedener satt hast?“ Das sei ferne! Es heißt: „Ein jeder soll in dem Berufe bleiben, zu dem er berufen worden ist.“ Ist jemand beschnitten oder, anders ausgedrückt, zur Jungfräulichkeit berufen, dann soll er sich keine Vorhaut machen, 1 d.h. er soll nicht nach dem Sinnbild des Ehestandes verlangen, den Kleidern aus Tierfellen, mit denen Adam nach seiner Vertreibung aus dem Paradiese 2 der Jungfräulichkeit bekleidet wurde. Wer in der Vorhaut berufen ist, 3 d.h. S. 407 wer eine Frau hat und vom Felle der Ehe umgeben ist, der suche nicht die Einsamkeit des jungfräulichen Standes und der ständigen Keuschheit, nachdem er sie einmal preisgegeben hat. Er gebrauche sein Gefäß in Heiligkeit und Zucht. 4 Er trinke aus den eigenen Quellen und nicht aus den durchlöcherten Zisternen der Sündenhäuser, welche das reine Wasser der Keuschheit nicht festhalten können. 5 Deshalb nennt der gleiche Apostel Paulus in dem eben angeführten Kapitel, in dem er über Jungfräulichkeit und Ehe sich ausläßt, die Verheirateten Knechte des Fleisches, die Ehelosen aber Freie, 6 die mit voller Freiheit dem Herrn dienen. Was ich jetzt sage, hat nicht allgemein, sondern nur teilweise Gültigkeit. Ich denke nicht an alle, sondern nur an eine beschränkte Zahl. Meine Worte richten sich aber an beide Geschlechter, nicht nur an das schwächere. Du lebst jungfräulich. Was erfreut Dich dann die Gesellschaft eines Weibes? Warum vertraust Du das gebrechliche und schwache Fahrzeug den hochgehenden Wogen an? Warum setzt Du Dich dann, während Du in Sicherheit lebst, der großen Gefahr einer zweifelhaften Seereise aus? Du hast keine weiteren Absichten und doch trittst Du zu der Frau in ein Verhältnis, als ob Du Dich schon vorher nach ihr sehntest oder, um wenig zu sagen, Dich in Zukunft nach ihr sehnen wirst. Ich vernehme Deinen Einwand: „Das weibliche Geschlecht eignet sich besser zu Dienstleistungen.“ Du magst recht haben. Dann nimm Dir eben eine Alte oder eine Häßliche; wähle Dir eine, deren Enthaltsamkeit im Herrn erprobt ist. Warum hast Da ausgerechnet Gefallen an einer jungen, schönen und lebenslustigen Person? Du gebrauchst die Bäder, Du kommst daher mit glänzender Haut und roten Wangen, Du ißt Fleisch, trägst Deinen Reichtum zur Schau und kleidest Dich in kostbare Gewänder. Und da vermeinst Du, in der Nähe einer todbringenden Schlange sicher schlafen zu können? Allerdings wohnst Du S. 408 ja nicht im gleichen Hause, wenigstens nicht während der Nacht. Aber ganze Tage verbringst Du im Gespräche mit ihr. Ja, warum sitzest Du denn allein, ohne Zeugen mit ihr zusammen? Wenn Du auch nicht sündigst, so rufst Du doch bei anderen den Verdacht der Sünde wach? Werden sich die Sünder nicht auf Dein Beispiel berufen und Dein Verhalten zum Vorwand nehmen, wenn sie fallen? Und auch Du, Jungfrau oder Witwe, warum laßt Du Dich so lange durch die Unterhaltung mit einem Manne fesseln? Warum fürchtest Du Dich nicht, wenn Du mit ihm allein verweilst? Die leibliche Notdurft müßte Dich doch veranlassen, hinauszugehen und unter dem angedeuteten Vorwand den zu verlassen, mit dem Du freier umgehst als mit Deinem Bruder, und vor dem Du Dich schüchterner benimmst, als es vor Deinem Gatten der Fall war. Da, ein neuer Einwand. Ihr unterhaltet Euch ja nur über eine Stelle aus der Hl. Schrift. Dann frage ihn in Gegenwart anderer darüber! Laß Deine Dienerinnen und Zofen diese Unterhaltung mitanhören! „Alles, was offen geschieht, ist Licht.“ 7 Eine ehrenhafte Unterhaltung bedarf keiner Heimlichkeit, vielmehr sucht sie nach der Anerkennung und der Teilnahme anderer Personen. Soll der hervorragende Lehrer wirklich ein Interesse daran haben, andere Männer auszuschließen, seinen Geschlechtsgenossen den Zutritt zu verbieten, um sich in einer privaten Unterrichtsstunde mit einem Weiblein abzuplagen?
