4.
Doch im Gedanken an andere bin ich vom eigentlichen Thema abgekommen. Während ich die kleine Pacatula unterrichte und gleichsam nähre, habe ich unversehentlich die Rachsucht vieler Frauen, die kaum friedlich gegen mich gesinnt sein werden, auf mich gelenkt. 1 Ich will also wieder zur Sache reden. Mädchen sollen sich zu Mädchen gesellen. Spiele mit Knaben sollen dem S. 409 Kinde fremd sein, ja noch mehr, es soll sie fürchten. Dann wird sie auch kein ungehöriges Wort vernehmen. Sollte sie aber einmal zufällig von den hin und her laufenden Dienstboten etwas Häßliches aufschnappen, dann wird sie den Sinn nicht verstehen. Nicht viele Worte, der Mutter Wink soll genügen; ihre Mahnungen sollen ihr Befehl sein. Sie soll die Mutter lieben als ihre Mutter, sie soll ihr gehorchen als ihrer Herrin, und sie soll sie fürchten als ihre Lehrmeisterin. Wenn aber das noch unerzogene und zahnlose Jüngferlein ins siebente Jahr getreten ist, wenn sie anfängt, zu erröten, zu verstehen, worüber sie zu schweigen, zu zweifeln, worüber sie zu reden hat, dann soll sie die Psalmen auswendig lernen und bis zu den Jahren der Reife die Bücher Salomos, die Evangelien, die Briefe der Apostel und die Schriften der Propheten zu einem Schatze ihres Herzens machen. Sie soll nicht allzuoft in der Öffentlichkeit erscheinen und nicht gerade in die am meisten besuchten Gotteshäuser gehen. Sie möge in ihrem Stübchen bleiben und dort ihre Freude finden. Junge Leute und Salonhelden soll sie nicht zu Gesicht bekommen, die mit süßen Worten das Ohr ergötzen, aber die Seele verwunden. Das Gerede leichtfertiger Mädchen möge ihr fremd bleiben! Je freiern Zutritt sie haben, desto schwerer wird man sie wieder los. Was sie gelernt haben, das geben sie heimlich weiter und entehren die eingeschlossene Danae 2 durch gemeine Gespräche. Eine Lehrerin begleite, eine Erzieherin behüte sie! Diese soll nicht viel Wein trinken, auch nicht müßig und geschwätzig sein gemäß der Mahnung des Apostels, 3 sondern nüchtern, ernst, S. 410 fleißig mit der Wolle beschäftigt, und nur über Dinge reden, die ein Mädchenherz zur Tugend anspornen. Wie nämlich das Wasser in einem kleinen Beete der Rille folgt, die man mit dem Finger zieht, so läßt sich auch das zarte und weiche Alter nach beiden Seiten biegen, und wohin man es leitet, dorthin wird es sich wenden. Leichtsinnige und gezierte Jünglinge wissen sich durch Schmeicheleien, freundliche Aufmerksamkeiten und kleine Geschenke an die Ammen Zutritt zu den diesen anvertrauten Mädchen zu verschaffen. Sind sie allmählich ans Ziel gelangt, dann entfacht sich der Funke zum Feuerbrand, 4 bis es nach und nach zu schamlosen Zumutungen kommt. Man kann sich keine Zügel mehr anlegen, und es bestätigt sich das Dichterwort: „Vergeblich tadelst du, was du durch eigene Schuld zur Gewohnheit werden ließest.“ 5 Man schämt sich, davon zu sprechen, und doch muß man es sagen. Vornehme Frauen, die noch vornehmere Bewerber haben konnten, traten in Beziehungen zu Männern niedrigsten Standes und zu Sklaven. Unter dem Vorwand, ein gottesfürchtiges Leben zu führen und sich der Keuschheit zu widmen, verlassen sie ihre Männer. Diese Helenen folgen ihren Alexandern, ohne irgendeinen Menelaus zu fürchten. 6 Das sieht man, darüber klagt man, aber an Strafe denkt man nicht, weil die Häufigkeit der Fälle der Sünde einen Freibrief ausstellt.
Wortspiel: dum infantem Pacatulam instituo .... multarum male mihi pacatarum bella suscepi. ↩
Horaz, Carm. III 16, 1. Akrisios, der König von Argos, hatte seine Tochter Danae in einen Turm eingeschlossen, damit sie jungfräulich bleiben möge. Das Orakel in Delphi hatte ihm nämlich geweissagt, daß er durch ihren Sohn ums Leben käme. Aber Zeus befruchtete sie als goldener Regen, und so gebar sie den Perseus, der seinen Großvater versehentlich beim Diskuswerfen tötete. ↩
1 Tim. 5, 13. ↩
Curtius, De rebus Alex. VI 3, 11. ↩
Siehe S. 395 Anm. 7. ↩
Paris, des Priamus Sohn, erhielt später den Beinamen Alexander. Er entführte die Helena, die Gattin des Menelaos, nach Troja. ↩
