8.
Ehe ich zum Schlusse meines Diktates komme — habe ich doch, wie ich sehe, bereits die Grenzen eines Briefes überschritten —, möchte ich noch rasch die oben erwähnten Stellen, welche die Lebensführung des zukünftigen Bischofes behandeln, ganz kurz erörtern. Auf diese Weise beschränken wir uns nicht auf das, was der Apostel über die eine Gattin schreibt; vielmehr wollen wir alles prüfen, was der Lehrer der Heiden 1 zu unserem Gegenstand zu sagen hat. Vorher aber muß ich bitten, man möge nicht auf den Gedanken kommen, daß das, was ich schreibe, eine Beschimpfung eines Priesters aus unseren Tagen sein soll. Ich will mit meinen Ausführungen nur dem Wohl der Kirche dienen. Wenn die Redner und Philosophen schildern, wie ein vollendeter Redner und Philosoph zu sein hat, so greifen sie damit weder Demosthenes noch Platon an. Ihr Vorgehen ist rein sachlich, und das Persönliche scheidet aus. So will auch ich, wenn ich die Eigenschaften bespreche, die ein Bischof besitzen soll, und die einschlägigen Schriftstellen erörtere, den Priestern sozusagen nur einen Spiegel vorhalten. Der Freiheit und dem Gewissen des einzelnen überlasse ich es, wie er sich darin sehen will, ob er die schmerzliche Feststellung machen muß, daß sein Verhalten vom Ideal abweicht, oder ob er sich voller Befriedigung eingestehen kann, daß die erwünschte Harmonie vorliegt. „Wenn jemand das bischöfliche Amt erstrebt, so erstrebt er ein gutes Werk.“ 2 Der Apostel denkt also an ein Werk, nicht an eine Würde; er faßt die Arbeit, nicht das Vergnügen ins Auge. Er spricht von einem Werk, das zur Demut hinabführt und seinen Inhaber nicht vor Stolz sich aufblähen läßt. „Der Bischof muß untadelig sein“ 3 oder wie es im Briefe an Titus heißt: „Wenn jemand ohne Fehl ist.“ 4 Hier faßt der Apostel mit einem Ausdruck alle Tugenden zusammen und stellt damit eine Forderung auf, die beinahe über die natürlichen Kräfte hinausgeht. Wenn S. b369 nämlich jede Sünde, selbst ein unnützes Wort, 5 Tadel verdient, wo in aller Welt gibt es dann einen Menschen, der ohne Sünde und damit ohne Tadel wäre? Der Apostel will, daß nur ein solcher zum zukünftigen Hirten der Kirche ausersehen werde, nach dem sich die anderen richten können, um zur Herde im wahren Sinne zu werden. Die Rhetoren verlangen zwei Dinge vom Redner. Er muß ein guter Mensch und im Reden erfahren sein. 6 Vor allem verlangt man eine tadellose Lebensführung und erst an zweiter Stelle eine beredte Zunge, will man Anerkennung finden. Denn wo das Leben die Worte Lügen straft, da hört jede Lehrautorität auf. „Eines Weibes Mann.“ 7 Darüber habe ich ja bereits gesprochen. Hier möchte ich bloß betonen, wenn wir die Forderung „nur eines Weibes Mann“ auch für die Zeit vor der Taufe bestehen lassen, dann gilt ein Gleiches für alle übrigen Forderungen. Das geht natürlich nicht, bei allen Voraussetzungen an die Zeit nach der Taufe zu denken und allein diese eine Vorschrift auch auf die Zeit vor der Taufe auszudehnen. „Nüchtern oder wachsam“ — der Ausdruck νηφάλιος hat beide Bedeutungen — „klug, gesetzt, gastfreundlich, gelehrt“. 8 Den Priestern, die im Tempel Gottes dienen, ist es untersagt, Wein und Berauschendes zu trinken, damit ihr Herz nicht beschwert werde von Weintaumel und Trunkenheit. 9 Vielmehr soll ihr Geist, wenn sie den Dienst Gottes versehen, immer frisch und klar sein. Die Forderung „klug“ schließt alle aus, die mit dem Worte Einfachheit jegliche Torheit der Priester entschuldigen. Denn wenn das Gehirn nicht gesund ist, dann werden dadurch alle Glieder ungünstig beeinflußt. „Gesetzt“ ist eine Erweiterung des vorhergehenden Ausdrucks „untadelig“. Wer ohne Fehler ist, ist untadelig. Gesetzt S. b370 nennt man den, der reich an Tugenden ist. Wir können aber diesem Worte noch einen anderen Sinn unterlegen, wenn wir an den Ausspruch Ciceros denken: „Die Kunst der Künste besteht darin, daß alles, was man tut, gut ansteht.“ 10 Es gibt nämlich Menschen, die das Maß der ihnen gesetzten Grenzen nicht erkennen, die sich so tölpelhaft und albern benehmen, daß ihre Bewegungen, ihr Gehaben, ihr Gang, ihre Unterhaltung den Zuschauern ein Lächeln abnötigen. Sie meinen, das Wort „gesetzt“ besonders gut begriffen zu haben, wenn sie in eleganter Kleidung und übertrieben gepflegter äußerer Haltung daherkommen und einen vornehmen Tisch führen. In Wirklichkeit ist solch eine „gesetzte“ Lebensführung abscheulicher als völlige Vernachlässigung. Was von den Priestern an wissenschaftlicher Ausbildung verlangt wird, ergibt sich bereits aus den Anordnungen des Alten Testamentes und noch ausführlicher aus dem Briefe an Titus. 11 Wenn ein Bischof einen heiligen Lebenswandel führt, jedoch die Gabe der Rede in seiner Unterhaltung vermissen läßt, dann reißt sein Schweigen wieder ein, was sein Beispiel aufbaut. Die Meute der reißenden Wölfe muß durch das Bellen der Hunde und durch den Stab des Hirten in Angst und Schrecken versetzt werden. „Kein Weintrinker und kein Raufbold.“ 12 Mit diesen Worten stellt der Apostel den Tugenden die ihnen entgegengesetzten Laster gegenüber.
