Neunter Artikel. Das Gebot des Gesetzes und die Art und Weise des Tugendaktes.
a) Die Art und Weise die Tugend zu üben ist mit vorgeschrieben im Gebote. Denn: I. Eine solche Art und Weise besteht darin, daß jemand gerechterweise thut das Gerechte und starkmütig das Starke und ähnlich in anderen Tugenden. Deut. 16. aber wird vorgeschrieben: „Gerechterweise führe aus das Gerechte.“ II. Jenes ist an erster Stelle im Gebote vorgeschrieben, was der Gesetzgeber beabsichtigt hat. Dieser aber hat die Absicht, durch die Gesetze die Menschen zu tugendhaften zu machen. (2 Ethic. 1.) Da also es des tugendhaften Sache ist, tugendhaft zu handeln, so fällt das „Wie“ des Befohlenen unter das Gebot. III. Tugendhaft wirken heißt: Gern und mit Freuden wirken. Das aber ist geboten; nach Ps. 99.: „Dienet dem Herrn in Freuden,“ und 2. Kor. 9.: „Nicht mit Trauer, oder weil es einmal so sein muß; denn einen heiteren Geber hat Gott lieb;“ wozu Augustin (in Ps. 91) bemerkt: „Was Gutes du thust, das thu' mit Freuden; dann machst du das Gute gut; — machst du es aber mit Trauer, dann geht wohl das Gute von dir aus, nicht du thust es aber.“ Auf der anderen Seite kann niemand so handeln wie der Tugendhafte, wenn er nicht die Tugend hat. (2 Ethic. 4.) Wer aber die Vorschrift des Gesetzes überschreitet, verdient Strafe. Wer also nicht den Zustand der entsprechenden Tugend hätte, der würde, was auch immer er thut, Strafe verdienen. Dies ist aber gegen die Absicht des Gesetzes, welches den Menschen dadurch daß es ihn an gute Werke gewöhnt, zur Tugend erst anleiten will. Das tugendhafte Wirken also als tugendhaftes fällt nicht unter das Gesetz.
b) Ich antworte, die Vorschrift eines Gesetzes habe, wie Kap. 90, Art. 3 ad III. gesagt worden, die Gewalt, zu zwingen; jenes also fallt in erster Linie unter die Gewalt des Gesetzes, wozu das Gesetz zwingt. Der Zwang aber, der dem Gesetze eigen ist, gründet sich auf die Furcht vor der Strafe; nach 10 Ethic. ult.; — denn Jenes fällt im eigentlichen Sinne unter die Vorschrift des Gesetzes, wofür die im Gesetze enthaltene Strafe aufgelegt wird. Nun verhält sich dazu Strafe aufzulegen anders das menschliche Gesetz, und anders das göttliche. Denn nicht für Anderes wird gestraft als dafür, worüber der Gesetzgeber zu urteilen hat, weil das Gesetz gemäß dem Urteile straft. Der Mensch hat aber nur über äußere Thätigkeiten zu urteilen, weil „die Menschen nur sehen, was nach außen hin erscheint.“ 1. Kön. 16. Dagegen „prüft Gott die Herzen und die Nieren“ (Ps. 7) und kann deshalb als Gesetzgeber des göttlichen Gesetzes allein über die inneren Regungen und Bewegungen des Willens in den Menschen urteilen. Danach also muß man sagen, daß in etwa der innere Akt der Tugend sowohl vom menschlichen wie vom göttlichen Gesetze berücksichtigt wird; — nach einer Seite hin aber nur vom göttlichen und nicht vom menschlichen; — und wieder nach einer anderen Seite hin weder vom göttlichen noch vom menschlichen Gesetze. Die Seinsweise der Tugend nämlich besteht in drei Momenten nach Aristoteles. (Ethic. 4.) Das erste derselben ist, daß jemand mit Vorwissen wirkt. Dies wird vom göttlichen und vom menschlichen Gesetze berücksichtigt; denn was jemand aus Unwissenheit thut, wird ihm nicht zugerechnet, weder zur Belohnung noch zur Strafe. Das zweite Moment ist, daß jemand wirke aus freier Wahl wegen eines ganz bestimmten Zweckes und deshalb gern, worin eingeschlossen ist die Bewegung des Willens und der Absicht. (Kap. 8 und 12.) Darüber urteilt nur das göttliche Gesetz, nicht das menschliche. Denn das menschliche Gesetz bestraft jenen nicht, der die Absicht hat zu töten, aber nicht tötet; wohl aber thut dies das göttliche; nach Matth. 5.: „Wer seinem Bruder zürnt, wird des Gerichtes schuldig sein.“ Das dritte Moment des Tugendaktes ist, daß jemand unverrückbar fest wirke; und das gehört im eigentlichen Sinne dem Zustande an, zu dessen Natur ja die Festigkeit gehört, daß jemand also von einem festgewurzelten Zustande aus und infolgedessen wirke. Und das fällt weder unter das göttliche noch unter das menschliche Gebot. Denn weder von einem Menschen noch von Gott wird jemand bestraft, der seine Eltern ehrt, obgleich er nicht in sich den festgewurzelten Zustand der Ehrfurcht vor den Eltern besitzt.
c) I. Dies fällt unter das Gebot, daß etwas gemäß der Ordnung geschieht, die vom Rechte ausgeht; nicht aber dieses Andere, daß es aus dem Zustande der Tugend der Gerechtigkeit heraus geschieht. II. Die Absicht des Gesetzgebers geht auf zweierlei: 1. darauf, wozu er durch das Gesetz anleiten will, das ist die Tugend; — 2. darauf, was befohlen werden soll; und dies ist das, was führt oder vorbereitet zur Tugend, nämlich der Tugendakt. Denn nicht dasselbe ist: der Zweck einer Vorschrift und das, worüber die Vorschrift gegeben wird; wie auch nicht in den anderen Dingen dasselbe ist: der Zweck und das was dem Zwecke dient. III. Thun das Werk der Tugend ohne Trauer, das fällt unter die Vorschrift des göttlichen Gesetzes; denn wer etwas mit Trauer thut, der thut es nicht gern. Mit Freuden aber oder Ergötzen das Werk der Tugend thun, das fällt nur in gewissem Sinne unter das Gebot, insoweit nämlich das Ergötzen eine Folge der Liebe Gottes und des Nächsten ist und diese Liebe geboten erscheint; denn die Liebe verursacht das Ergötzen, wenn sie aus einem Zustande hervorgeht. „Das Ergötzen an einem Werke nämlich ist das Zeichen davon, daß der entsprechende Zustand erzeugt ist;“ heißt es 2 Ethic. 2. Denn es kann ein Akt ergötzlich sein; entweder wegen des Zweckes, auf den er gerichtet ist, oder wegen des Zustandes, aus dem er hervorgeht.
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