Vierter Artikel. Das Verhältnis des von der Liebe geformten und vollendeten Glaubens zum ungeformten und unvollendeten.
a) Der ungeformte Glaube kann kein geformter werden und ebenso nicht umgekehrt. Denn: I. Nach 1. Kor. 13.: „wird entleert werden was nur unvollkommen, oder teilweise ist, wenn da kommt was vollendet ist.“ Kommt also die heilige formende Liebe, so verschwindet vielmehr als unvollkommen der ungeformte Glaube; er wird kein vollendeter. II. „Der Glaube ohne die Werke ist tot,“ sagt Jakobus (2.) Was aber tot ist, wird nicht wieder lebendig. Der ungeformte Glaube jedoch ist tot. III. Die Gnade Gottes hat, wenn sie hinzutritt, im Gläubigen keine andere Wirkung wie im Ungläubigen. Im Ungläubigen aber verursacht sie den Zustand des Glaubens. Also auch wenn sie zum Gläubigen tritt, welcher einen ungeformten oder unvollendeten Glauben hat, verursacht sie einen ganz anderen, vom ersten verschiedenen Zustand des Glaubens. IV. „Die Zuthaten zu einem Wesen können an und für sich keine Änderung erleiden.“ Der Glaube ist aber ein Accidens, eine Zuthat. Also kann nicht der nämliche Glaube nun vollendet sein, nun unvollendet. Auf der anderen Seite sagt die Glosse zu Jakobus (2.): „Der Glaube ist tot ohne die Werke“: „durch welche er wieder auflebt.“ Also der nämliche Glaube, der früher unvollendet war und ungeformt, wird vollendet und geformt.
b) Ich antworte, die einen meinten in dieser Frage, der Zustand des ungeformten Glaubens sei ein durchaus anderer wie der des geformten; kommt letzterer, so verschwinde der erstere; und verliere man durch die Todsünde den geformten, vollendeten Glauben, so komme ein anderer Zustand, der nämlich des ungeformten Glaubens. Doch ist dies unzulässig, daß die hinzukommende Gnade Gottes eine bereits bestehende Gabe Gottes ausschließe; und ebenso, daß eine andere Gabe Gottes der Seele verliehen werde auf Grund der Todsünde. Deshalb meinten andere, es seien dies zwei nebeneinander bestehende, verschiedene Zustände, der nämlich des geformten und der des ungeformten Glaubens; und käme der durch die Liebe vollendete Glaube, so bleibe zugleich der Zustand des ungeformten. Doch dann würde der eine Zustand ganz müßig sein, was nicht gut angeht. Darum ist festzuhalten, daß ein und derselbe Zustand sei der des ungeformten und der des geformten Glaubens. Denn ein Zustand wird nur durch dasjenige ein anderer, was an und für sich dazu gehört. Da nun der Glaube eine Vollendung der Vernunft ist, so wird er nur durch etwas zur Vernunft Zugehöriges ein anderer. Was zum Willen gehört, das gehört also nicht an und für sich zum Glauben, so daß dadurch der betreffende Zustand kein anderer wird. Nun kommt der Unterschied zwischen dem geformten und ungeformten Glauben von dem, was gemäß dem Willen ist d. h. gemäß der heiligen Liebe. Also macht das keinen Unterschied im Bestehen des Zustandes.
c) I. Wenn die Unvollendung zum Wesen des Unvollendeten gehört, dann schließt die Vollendung das Unvollendete aus. Kommt also das Offen-Schauen, so wird der Glaube ausgeschlossen, weil zu dessen Wesen es gehört, auf das „Nicht-Erscheinende“ sich zu richten. Ist dies aber nicht der Fall, so geht das Nämliche der Zahl nach vom Stande des Unvollendeten zu dem des Vollendeten über; wie aus dem Kinde ein Mann wird. Die Unvollendung des Glaubens der Liebe gegenüber ist aber nicht zum Wesen des Glaubens gehörig. Also bleibt der Zustand, der früher unvollendet war, beim Hinzutreten der Vollendung. II. Was das sinnbegabte Wesen lebendig macht, tritt in das Wesen desselben ein; denn die Seele ist die substantiale Form im lebenden Wesen. Deshalb kann in diesem Bereiche etwas Totes nicht wieder lebendig werden. Denn das tote Tier ist der Gattung nach ein anderes wie das lebende. Was aber den ungeformten Glauben zum geformten macht, ist nicht zum Wesen des Glaubens gehörig. III. Die Gnade verursacht den Glauben, so lange derselbe andauert; wie die Sonne immer die Beleuchtung in der Luft verursacht. Im Gläubigen also sowohl wie im Ungläubigen, zu dem sie von neuem hinzutritt, macht die Gnade den Glauben; in dem einen vollendend und kräftigend, im an deren schaffend. IV. Dadurch daß der Glaube ein geformter wird, wird nicht der Glaube verändert, sondern das Subjekt desselben, die Seele; sie hat manchmal Glauben ohne Liebe und manchmal Glauben mit Liebe.
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