Fünfter Artikel. Der Glaube ist eine Tugend.
a) Dem steht entgegen: I. Die Tugend richtet sich auf das Gute (2 Ethic. 6.); der Glaube auf das Wahre. Also ist er keine Tugend. II. Vollkommener ist die eingegossene Tugend wie die erworbene. Wegen seiner Unvollkommenheit aber zählt der Glaube nicht zu den erworbenen Tugenden, nach 6 Ethic. 3.; — also noch weit weniger zu den eingegossenen. III. Der ungeformte und der geformte Glaube ist der nämliche Zustand. Der erstere aber ist keine Tugend, denn er hat keine Verbindung mit anderen Tugenden; also auch nicht der letztere. IV. Der Glaube wird 1. Kor. 12. aufgezählt unter den zum Besten anderer verliehenen Gnaden; also ist er keine Tugend, die zum Besten der eigenen Person dient. Auf der anderen Seite „ist alle Tugend Gerechtigkeit“ nach 5 Ethic. 1. Durch den Glauben aber wird der Mensch gerechtfertigt, nach Röm. 5.: „Gerechtfertigt aber infolge des Glaubens laßt uns Frieden haben mit Gott.“ Also ist der Glaube eine Tugend.
b) Ich antworte, die menschliche Tugend mache die menschliche Thätigkeit zu einer guten. Wo also ein Zustand immer das Princip von guter Thätigkeit ist, da ist dieser Zustand Tugend. So verhält es sich aber mit dem geformten Glauben. Denn da Glauben ein Akt der Vernunft ist, welche infolge der Bestimmung vom Willen aus zustimmt, so muß, damit dieser Akt gut sei, zuerst die Vernunft unfehlbar auf ihren Gegenstand sich richten, auf das Wahre; und der Wille muß sodann unfehlbar Beziehung haben zum letzten Endzwecke, dessentwegen er dem Wahren zustimmt. Beim geformten Glaubensakte nun ist dies Beides der Fall: die Vernunft geht immer auf das Wahre, denn dem Glauben kann sich nie Falsches beimischen; und der Wille geht kraft der Liebe immer auf den Endzweck. Also ist der geformte Glaube eine Tugend. Was den ungeformten Glauben betrifft, so fehlt da die gebührende Vollendung von seiten des Willens. So würde ebenso, wenn die Mäßigkeit in der Begehrkraft wäre, nicht aber die Klugheit in der Vernunft, diese Mäßigkeit keine Tugend sein. (Vgl. I., II. Kap. 50, Art. 4.)
c) I. Das Wahre ist das Gut für die Vernunft. Also insoweit hat der Glaube an sich bereits Beziehung auf ein gewisses Gut. Insoweit jedoch der Glaube durch die heilige Liebe noch weiter vollendet wird, hat er noch dazu Beziehung zum Guten an sich, dem Gegenstande des Willens. II. Der Glaube, von dem Aristoteles spricht, stützt sich auf die menschliche Vernunft, der jedoch dabei von seiten des Gegenstandes keine Notwendigkeit für die Schlußfolgerung geboten wird und wo also Falsches beigemischt sein kann; somit ist ein solcher Glaube keine Tugend. Der Glaube aber, von dem hier die Rede, gründet auf der göttlichen Wahrheit, wo Falsches nicht mitunterlaufen kann. III. Geformter und ungeformter Glaube sind allerdings nicht zwei der Gattung nach verschiedene Zustände. Aber sie unterscheiden sich wie das Unvollkommene und Vollkommene in der nämlichen Gattung, so daß das Unvollkommene, der ungeformte Glaube, nicht voll und ganz den Charakter der Tugend erreicht. Denn Tugend ist eine gewisse Vollendung. IV. „Der Glaube“, welcher unter den zum Besten anderer verliehenen Gnaden aufgezählt wird, ist nicht der ungeformte Glaube, wie manche meinen. Denn solche Gnaden sind nicht gemeinsam allen Gliedern der Kirche; weshalb Paulus sagt: „Dem einen wird dies gegeben, dem anderen jenes.“ Der ungeformte Glaube aber ist gemeinsam allen Gliedern der Kirche; weil die Unvollendung nicht seinen Wesenscharakter bildet, soweit er ein unverdient gegebenes Geschenk Gottes ist. Paulus nimmt da „Glaube“ vielmehr für „hervorragenden“ Glauben, wie z. B. für die vielen anderen bekannte und zum Besten gereichende Festigkeit jemandes im Glauben; oder er nimmt den Ausdruck für die Rede des Glaubens. Und als Frucht wird der Glaube bezeichnet wegen des Ergötzens, das er in seiner Thätigkeit bietet als „Sicherheit mit Rücksicht auf das Unsichtbare.“
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