Achter Artikel. Der Glaube schließt höhere und mehr Gewißheit in sich ein wie die Wissenschaft und die anderen Tugenden in der Vernunft.
a) Dagegen spricht: I. Höhere Gewißheit hat das, was keinen Zweifel zulassen kann, wie dies bei der Weisheit und beim Wissen der Fall ist; — wie Jenes, was wie der Glaube, bisweilen Zweifel zuläßt. Also wohnt der Weisheit und dem Wissen höhere Gewißheit inne. II. Das Sehen ist gewisser wie das Hören. „Der Glaube aber kommt vom Hören;“ während die Weisheit und die Wissenschaft ein geistiges Sehen oder Schauen ist. III. Je vollendeter etwas ist, was zur Vernunft gehört, desto höhere Gewißheit genießt es. Das Verständnis aber ist vollendeter wie der Glaube, nach Isai. 7.: „Wenn ihr nicht glaubet, werdet ihr nicht verstehen.“ Also wohnt dem Verständnisse eine höhere Gewißheit inne. Dasselbe sagt zudem Augustin (14. de Trin. 1.) von der Wissenschaft: „Die Wissenschaft stärkt den Glauben.“ Das Wissen also und das Verständnis erfreut sich höherer Gewißheit wie der Glaube. Auf der anderen Seite erklärt Paulus (1. Thess. 2.): „Als ihr angenommen habt von uns das Wort, das ihr gehört,“ nämlich durch den Glauben, „habt ihr es angenommen als das, was es wahrhaft ist, als Wort Gottes, nicht als das von Menschen.“ Nichts ist aber gewisser wie das Wort Gottes.
b) Ich antworte, zwei unter den Tugenden in der Vernunft beschäftigen sich mit dem, was sein und nicht sein kann, nämlich die Klugheit und die Kunst. Diesen steht voran der Glaube in der Gewißheit auf Grund seines Gegenstandes, der da ist das Ewige, was nicht anders sein kann. Die drei anderen Tugenden in der Vernunft, die Weisheit, die Wissenschaft und das Verständnis beschäftigen sich mit dem Notwendigen. (1., II, Kap. 57, Art. 2 ad III.) Jedoch gelten sie alle drei einmal als Tugenden in der Vernunft (6 Ethic. 3, 6, 7.); dann als Gaben des heiligen Geistes. Werden sie als Tugenden betrachtet, so wird die Gewißheit 1. bemessen gemäß der Ursache der Gewißheit, denn Jenes steht höher in der Gewißheit, was eine zuverlässigere Ursache hat; und danach ist der Glaube gewisser als sie alle drei insgesamt, denn die Ursache seiner Gewißheit ist die göttliche Wahrheit, während für die Gewißheit in diesen drei Tugenden die menschliche Vernunft die Ursache bildet; — 2. wird die Gewißheit bemessen von seiten der daran Anteil habenden Vernunft, je nachdem die menschliche Vernunft in größerer Fülle den Gegenstand in sich aufnimmt; und danach, insofern das, was der Glaube vorstellt, die menschliche Vernunft überragt, nicht dies aber mit dem der Fall ist, was die besagten drei Tugenden vorstellen; danach also ist der Glaube minder gewiß. Weil nun Jegliches schlechthin beurteilt wird gemäß seiner Ursache, gemäß der Verfassung des daran teilnehmenden Subjekts aber nur unter gewissen Bedingungen; — deshalb ist schlechthin der Glaube in höherem Grade gewiß; unter gewissen Bedingungen aber, d. h. mit Rücksicht auf uns, können die drei besagten Tugenden höhere Gewißheit in sich einschließen. Werden letztere aber als Gaben des heiligen Geistes genommen, so ist auch danach der Glaube mit höherer Gewißheit ausgestattet; denn er ist das Princip für diese drei Gaben.
c) I. Jene Zweifel haben nicht ihren Grund in der Unzuverlässigkeit des Glaubens an sich; sondern darin daß wir nicht vollkommen mit der Vernunft zu dem hinanreichen, was im Glauben enthalten ist. II. Im allgemeinen ist das Sehen zuverlässiger wie das Hören. Wenn aber jener, den wir hören, weit überragt die Sehkraft des Sehenden, so ist das Hören zuverlässiger. So ist jemand, der wenig Wissen hat, gewisser, wenn er etwas von einem großen Gelehrten hört als wenn er das nur sieht, was seiner eigenen geringen Vernunft sich vorstellt. Also bei weitem mehr ist der Mensch gewiß, wenn er von Gott etwas hört, der sich nicht täuschen kann wie wenn er seiner eigenen Vernunft überlassen ist. III. Die Vollendung der Wissenschaft und des Verständnisses steht höher wie die Kenntnis des Glaubens mit Rücksicht darauf, daß das Gewußte und Verstandene mehr offenbar ist; nicht aber mit Rücksicht auf die festere Anhänglichkeit. Denn die ganze Gewißheit des Verständnisses und der Wissenschaft, insoweit sie Gaben sind, kommt von der Gewißheit des Glaubens; wie die Gewißheiten der Kenntnis der Schlußfolgerungen hervorgeht von der Gewißheit der Principien. Als Tugenden aber stützen sie sich auf die menschliche Vernunft; der Glaube hingegen auf die göttliche Wahrheit, das Wort Gottes.
