Siebenter Artikel. Der Glaube ist die erste, grundlegende Tugend.
a) Dagegen sagt: I. Ambrosius (in Luc. 12. dico vobis amicis): „Die Stärke ist die Grundlage des Glaubens.“ II. Die Glosse zu Ps. 36 (spera in Domino): „Die Hoffnung führt ein zum Glauben.“ III. Der Gehorsam leitet an zur Zustimmung im Glauben, wie Art. 2 gesagt worden.Also ist nicht der Glaube, sondern eine andere Tugend die erste: die Stärke, die Hoffnung oder der Gehorsam. IV. Der ungeformte Glaube ist keine Tugend, sondern der geformte. Er wird aber geformt und vollendet durch die Liebe. Also ist die Liebe vielmehr die Grundlage der Tugenden und früher als der Glaube. V. Ebenso ist gemäß der Ordnung der Akte auch die Ordnung in den betreffenden Zuständen. Dem Akte des Glaubens aber geht vorher der Akt der Liebe, wie die Ursache vorhergeht der Wirkung. Also geht die Liebe dem Glauben vorher. Auf der anderen Seite sagt der Apostel: „Der Glaube ist die Substanz der zu hoffenden Dinge.“ Die Substanz aber ist das Erste in einem Dinge. 7
b) Ich antworte, es kann etwas dem Anderen vorhergehen entweder an und für sich, dem inneren Wesen nach; oder auf Grund äußerer Umstände. An und für sich nun ist die erste aller Tugenden unbedingt der Glaube. Denn da im Bereiche des menschlichen Handelns der Zweck Princip ist (I., II. Kap. 13, Art. 3 u. a. a.), so müssen zuvörderst die theologischen Tugenden, deren Gegenstand der letzte Endzweck ist, allen anderen Tugenden vorhergehen. Der letzte Endzweck aber muß zuerst in der Vernunft sein, ehe er im Willen sein kann; denn der Wille richtet sich auf nichts, außer insoweit es von der Vernunft erfaßt ist. Da nun der letzte Endzweck im Willen sich findet kraft der Hoffnung und der Liebe; in der Vernunft kraft des Glaubens, so muß notwendig der Glaube die erste, grundlegende unter allen Tugenden sein. Denn die natürliche Vernunft kann nicht zu Gott hinanreichen, insoweit Er Gegenstand der ewigen Seligkeit ist, worauf die Hoffnung und die Liebe sich richten. Auf Grund äußerer Umstände aber können andere Tugenden früher sein und zwar als Mittel, welche die Hindernisse für den Glauben entfernen. So aber verursachen, heißt nach 8 Physic. nicht: an und für sich oder dem inneren Wesen nach verursachen. In dieser Weise entfernt die Stärke die ungeregelte Furcht, welche den Glauben hindert; die Demut entfernt den Stolz, kraft dessen die Vernunft sich weigert, sich der Wahrheit des Glaubens zu unterwerfen;— und dasselbe gilt von den anderen Tugenden, obgleich sie nur unter Voraussetzung daß der Glaube da ist, im wahren vollen Sinne Tugenden sind. (Aug. c. Julian. lib. 4, cap. 3.)
c) I. Damit beantwortet. II. Im allgemeinen kann die Hoffnung nicht zum Glauben führen; denn man hat nur dann Hoffnung auf die ewige Seligkeit, wenn man sie kraft des Glaubens für möglich hält. Unmögliches wird nicht gehofft. Die Hoffnung kann jedoch veranlassen, daß jemand fest im Glauben beharrt. III. Der Gehorsam wird in doppeltem Sinne verstanden: 1. insoweit er eine gewisse Hinneigung des Willens, die göttlichen Gebote zu erfüllen, in sich einschließt; und so ist er keine besondere Tugend, sondern eine Bedingung im allgemeinen für jede Tugend, da alle Tugenden mit ihren Thätigkeiten den Geboten Gottes unterliegen (I., II. Kap. 100, Art. 2); danach also wird auch für den Glauben Gehorsam gefordert; — 2. insoweit der Gehorsam eine Hinneigung zur Erfüllung der göttlichen Gebote einschließt im Bereiche des Geschuldeten. Und so ist der Gehorsam ein Teil der Gerechtigkeit und eine besondere Tugend; denn er macht unterwürfig, wie es sich gebührt dem Vorgesetzten gegenüber. Danach folgt der Gehorsam dem Glauben, da dieser die Verpflichtung zeigt, Gott als dem Oberen zu gehorchen. IV. Das Fundament darf nicht nur Erstes, sondern es muß auch mit den übrigen Teilen des Gebäudes verbunden sein; sonst wäre es kein Fundament. Die Verbindung der Teile aber im geistigen Bau vollzieht sich durch die Liebe, nach Koloss. 1.: „Vor Allem haltet fest an der Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.“ Der Glaube also ohne die Liebe kann nicht Fundament sein; jedoch ist dadurch nicht bedingt, daß die Liebe vor dem Glauben sei. V. Ein Willensakt wird allerdings für den Glauben vorausgesetzt; nicht aber ein Willensakt, der vom Zustande der heiligen Liebe im Willen ausgeht. Ein solcher Willensakt wie dieser letztere setzt den Glauben voraus; denn der Wille kann nicht in vollkommener Liebe zu Gott hin streben, wenn nicht die Vernunft den rechten Glauben über Gott hat.
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