Dritter Artikel. Die brüderliche Zurechtweisung und die Oberen.
a) Den Oberen allein gebührt es, zurechtzuweisen. Denn: I. Hieronymus sagt: „Die Priester seien bemüht, Jenes zu erfüllen: Wenn dein Bruder gegen dich gesündigt hat.“ Unter den „Priestern“ aber werden die Oberen verstanden. II. Die brüderliche Zurechtweisung ist ein geistiges Almosen. Also muß es jener geben, der im Bereiche des Geistigen höher steht, d. h. der Obere; wie auch jener, der im Bereiche der äußeren Güter höher steht, das körperliche Almosen giebt. III. Die Vollendung zum Besseren hin geht immer von den höheren aus zu den niederen hin. Auf der anderen Seite heißt es 24. quaest. 3. cap. 4.: „Priester sowohl wie gläubige Laien müssen im höchsten Grade Sorge tragen um jene, die zu Grunde gehen; insoweit letztere durch ihre Ermahnungen entweder von ihren Sünden ablassen oder, wenn sie unverbesserlich sind, von der Kirchengemeinschaft getrennt werden.“
b) Ich antworte, jene brüderliche Zurechtweisung, die das Beste des Sünders selbst zum Zwecke hat, sei Pflicht eines jeden, der die Liebe besitzt; sei er Untergebener oder Oberer; — jene aber, welche das Gemeinbeste zum Zwecke hat und bisweilen auch durch Strafen sich vollzieht, nicht einzig durch Ermahnungen, sei Sache allein der Oberen.
c) I. Auch zu der erstgenannten Art Zurechtweisung sind die Oberen in erster Linie verpflichtet. (Aug. 1. de civ. Dei 9.) Wie nämlich zeitliche Wohlthaten jemand in erster Linie den seiner Obsorge anvertrauten angedeihen lassen muß, so muß auch der geistige Obere Lehre, Ermahnung, Besserung in erster Linie denen angedeihen lassen, die ihm anvertraut sind. Also sind, meint Hieronymus, die Priester, zwar nicht allein, aber im besonderen Sinne, zur brüderlichen Zurechtweisung verpflichtet. II. Wer gesundes Urteil und Liebe hat, ist im geistigen Sinne reicher und steht höher wie der Sünder; muß diesen sonach bessern. III. Auch im Bereiche der Natur stehen Dinge wechselseitig zu einander im Verhältnisse des Höheren und Niedrigeren, soweit etwas in einer gewissen Beziehung im Zustande des Vermögens, des Unfertigen, ist mit Rücksicht auf das Andere; und in einer anderen Beziehung, soweit etwas wie eine thatsächlich einwirkende Ursache zu diesem selben Anderen sich verhält. Wer also ein gesundes Urteil hat in dem, wo es dem anderen mangelt, der kann ihm da helfen, obgleich er nicht schlechthin sein Oberer ist.
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