Achter Artikel. Die Zeugen der brüderlichen Zurechtweisung müssen der öffentlichen Anzeige vorhergehen.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Die geheimen Sünden soll man nicht anderen offenbar machen; „so wäre der Mensch weit mehr Verräter der Sünde wie Zurechtweiser des Bruders.“ (Aug. de verb. Dom. serm. 15.) Wer aber Zeugen vorführt, macht die Sünde des Bruders anderen offenbar. II. Der Mensch soll den Nächsten wie sich selbst lieben. Niemand aber führt Zeugen vor für seine verborgene Sünde. III. Die Zeugen sollen beweisen; dies aber ist bei geheimen Sünden unmöglich. IV. Augustin sagt in der „Regel“: „Vorher soll man dem Oberen es offenbaren als den Zeugen.“ Dem Oberen offenbaren aber heißt „der Kirche es sagen“. Also darf der Anzeige vor der Öffentlichkeit kein Vorführen von Zeugen vorhergehen. Auf der anderen Seite sagt der Herr (Matth. 18.): „Nimm mit dir einen oder zwei Zeugen, denn im Munde“…
b) Ich antworte, von einem Ende komme man zum anderen durch Vermittlung des Dazwischenlegenden. Der Herr nun wollte, der Beginn der brüderlichen Zurechtweisung solle verborgen sein „zwischen dir und ihm allein“; das Ende aber sollte öffentlich sein vor der ganzen Kirche. Also kommt zwischen diesen beiden Enden zulässigerweise als Vermittlung die Vorführung von Zeugen; daß nämlich einigen wenigen die Sünde des Bruders angezeigt werde, die nützlich sein können, nicht aber schädlich, damit er so wenigstens, ohne vor der ganzen Menge seinen guten Ruf zu verlieren, gebessert werde.
c) I. Manche meinten, die brüderliche Zurechtweisung müsse in der Ordnung vor sich gehen, daß der Bruder zuerst insgeheim zurechtzuweisen sei. Hört er nun darauf, so sei es gut; hört er nicht darauf, so dürfe man nicht weiter vorgehen, sondern müsse warten, bis die Sünde zur Kenntnis weniger anderer käme, und dann könnte man weiter vorgehen. Das aber ist gegen Augustin, der in der „Regel“ sagt, „man müsse die Sünde des Bruders nicht verbergen, damit sie nicht faule im Herzen.“ Deshalb muß man sagen, so lange Hoffnung bleibt, müsse man insgeheim ermähnen. Könne man aber vernünftigerweise annehmen, dies werde nichts helfen; so müsse man zu Zeugen seine Zuflucht nehmen, so verborgen die Sünde auch sein mag. Ausgenommen ist der Fall, daß man die Überzeugung hätte, der schuldige werde dadurch nur noch schlechter werden; es ist dann von aller Zurechtweisung abzusehen. II. Um seine eigenen Sünden zu bessern, bedarf der Mensch keiner Zeugen. Es kann dies aber notwendig sein, um den Bruder zu bessern. III. Die Zeugen dienen zu dreierlei: 1. um zu zeigen, es liege wirklich eine Sünde vor, wie Hieronymus sagt; 2. um die Überzeugung zu gewinnen vom Bestehen des Sündenaktes, wenn dieser wiederholt wird, wie Augustin in der „Regel“ sagt; 3. um zu bezeugen, der zurechtweisende Bruder habe sein Möglichstes gethan, nach Chrysostomus (hom. 61. in Matth.) V. Augustin nimmt hier den Oberen als Privatperson und als einer solchen soll man es ihm eher sagen als den Zeugen, weil er mehr nützen kann wie jene. Die Stelle der Kirche vertritt er, wenn er als öffentlicher Richter dasteht.
