Zweiter Artikel. Der einzelne Mensch kann manche Dinge als ihm eigene besitzen.
a) Dagegen wird geltend gemacht: I. Was gegen die Naturgesetze ist, das ist unerlaubt. Nach dem Naturrechte aber ist Alles gemeinsam. Also besteht kein eigener Besitz für einen einzelnen Menschen, soweit es auf das Recht ankommt. II. Basilius sagt (l. c. Art. 1.): „Wie jener, der zu einem Schauspiele früher eintreffen und einen Platz einnehmen wollte, die später ankommenden hindern würde, indem er sich aneignet, was zum gemeinsamen Gebrauche bestimmt ist; so finden sich in einem ähnlichen Falle die Reichen, welche das allen Gemeinsame vorher in Beschlag nahmen und nun meinen, es gehöre ihnen.“ Unerlaubt aber ist es, anderen den Weg zu verlegen, daß sie am Besitze des Gemeinsamen teilnehmen. Also ist es unerlaubt, als Eigentum zu betrachten das, was allen gehört. III. Ambrosius schreibt (sermo 64 de temp.): „Als sein Eigen betrachte niemand das, was gemeinsam allen gehört.“ AIs Letzteres bezeichnet er aber die äußeren Dinge, wie aus dem Vorhergehenden sich ergiebt. Auf der anderen Seite sagt Augustin (de haeres. 40.): „Apostolische werden genannt jene, die sich selber in höchster Anmaßung diesen Namen beigelegt haben, die da in ihre Gemeinschaft nicht zulassen diejenigen, welche Ehefrauen haben und äußere Dinge als ihr Eigentum besitzen.“ Deshalb aber sind diese von der Kirche getrennt, weil sie glauben, alle diejenigen hätten keinerlei Hoffnung, welche jene Dinge, deren sie entbehren, gebrauchen. Also ist es ein Irrtum gegen den Glauben, zu sagen, der Mensch dürfe kein Eigentum besitzen.
b) Ich antworte, rücksichtlich der äußerlichen Dinge komme dem Menschen zweierlei zu: 1. die Gewalt, sie zu erwerben und sie zu verwalten; — und mit Rücksicht darauf ist es erlaubt, daß der Mensch Eigentum habe. Dies ist zudem notwendig aus drei Gründen:
a) Der Mensch trägt mehr Sorge für das, was ihm allein gehört wie für gemeinsames Gut; denn da er von Natur Mühe und Arbeit flieht, überläßt er es anderen, für das Gemeinsame zu sorgen: —
b) die Verwaltung der menschlichen Dinge ist geordneter, wenn jedem einzelnen die Obsorge für das ihm Eigene überlassen wird; Verwirrung würde folgen, wenn jeder in alles Beliebige unterschiedslos sich einmischen könnte; —
c) der Friede und die Ruhe wird dadurch befördert, wenn jeder mit dem ihm Eigenen sich begnügt; wir sehen dies ja, daß da häufiger Streit und Zank besteht, wo mehrere ungeteilt etwas als allen Gemeinsames verwalten. 2. Der Gebrauch der äußeren Dinge; — und mit Rücksicht darauf muß sie der Mensch nicht als eigene betrachten, sondern leicht sie mit den anderen teilen, wenn diese deren notwendig haben. Deshalb sagt der Apostel (1. Tim. ult.): „Den Reichen dieser Welt schreibe vor,… leicht mitzuteilen von ihren Gütern.“ o) I. Das Naturrecht schreibt nicht vor, daß niemand etwas als Eigen betrachten, sondern Alles gemeinsam sein solle. Es verhält sich vielmehr rein negativ, insoweit der Unterschied im einzelnen Besitze nicht vom Naturrechte kommt, sondern nach menschlichem Übereinkommen geregelt ist, also nach positivem Rechte. Der Besitz ist demgemäß nicht gegen das Naturrecht, sondern erscheint als etwas demselben seitens der menschlichen Vernunft rechtmäßig Hinzugefügtes. II. Wer vorher zum Schauspiele kommt, um anderen Platz bereit zu halten, handelt nicht unerlaubt; sondern bei jenem ist dies der Fall, der vorher kommt und andere hindern will. Und so handelt der Reiche nicht unerlaubterweise, welcher zuerst sich in den Besitz von etwas im Anfange Gemeinsamen setzt und davon anderen leicht mitteilt, ihnen hilft. Aber er handelt unrecht, wenn er ohne die gebührende Rücksicht, in maßloser Weise, andere vom Gebrauche des Besitzes abhält. Deshalb sagt da Basilius: „Warum hast du Überfluß, jener aber bettelt; wenn nicht, damit du das Lob einer guten Anwendung des Besessenen erhaltest und jener auf Grund seiner Geduld gekrönt werde?“ III. Ambrosius spricht vom Überflüsse, mit dem engherziger Gebrauch verbunden ist; weshalb gleich darauf folgt: „Was du überflüssigerweise ausgiebst, hast du mit Gewalt erlangt.“
