Erster Artikel. Die Religion oder Gottesverehrung bezieht den Menschen nur auf Gott.
a) Dies scheint nicht so schlechthin wahr zu sein. Denn: I. Jak. 1. heißt es: „Die reine, makellose Religion bei Gott und dem Vater ist die, die Waisen und Witwen zu besuchen in ihrer Trübsal und unbefleckt zu behüten vor dieser Welt.“ Das aber gehört zur Beziehung des Menschen auf den Nächsten oder auf sich selbst; und nicht auf Gott. II. Augustin (10. de civ. Dei 1.) sagt: „Weil nach dem Gebrauche der lateinisch sprechenden und zwar nicht nur der unerfahrenen, sondern auch der im höchsten Grade gelehrten Männer man gegenüber den menschlichen Verwandtschaften und Bekanntschaften und sonstigen Verbindungen „Religion“, d. h. Treue bewahren soll, so ist bei diesem Worte „religio“ die Zweideutigkeit nicht vermieden, wenn über die Verehrung Gottes gesprochen werden soll, so daß wir etwa, ohne Furcht, mißverstanden zu werden, schlechthin sagen könnten: die Religion sei allein der Kult Gottes.“ Also auch mit Bezug auf nahestehende Personen spricht man von „Religion“. III. Zur Religion gehört auch der Dienst Gott gegenüber, den wir latria nennen. Dienen aber müssen wir nicht allein Gott, sondern auch den Mitmenschen, nach Galat. 5.: „Durch die Liebe des Geistes diene einer dem anderen.“ Also besagt „Religion“ auch die Beziehung zum Nächsten. IV. Zur „Religion“ gehört der Kult oder die Verehrung. Wir verehren aber auch die Eltern. V. Alle, die im Stande der Gnade sich befinden, sind Gott unterworfen. Man nennt aber „Religiöse“ jene, die nicht allein im Stande der Gnade sind, sondern auch durch gewisse Gebräuche und Gelübde sich verpflichten. Also besagt „Religion“ nicht die Unterwerfung des menschlichen Geistes Gott gegenüber. Auf der anderen Seite sagt Cicero (2. de lnv.): „Die Religion ist eine Tugend, welche die Verehrung einer gewissen höheren Natur, die göttliche genannt, regelt und vorschreibt.“
b) Ich antworte: Mag man, wie Cicero, das Wort relgiio von relegere ableiten, daß man nämlich häufig bedenkt und gleichsam immer wieder liest das, was zum Kulte Gottes gehört; oder mit Augustin (10. de civ. Dei 4.) von reeligere daß „wir nämlich Gott wiedererwählen müssen, wenn wir Ihn durch die Sünde verloren hatten;“ oder mit demselben (de vera Religg. in fine) von religare, „weil die Religion uns wiederverbindet mit Gott'“ — sie schließt in allen Fällen recht eigentlich die Beziehung zu Gott ein. Denn mit Ihm müssen wir in erster Linie verbunden sein wie mit dem nie mangelnden Princip; zu Ihm muß unsere freie Wahl sich stets wenden als dem letzten Endzwecke; Ihn verlieren wir durch Nachlässigkeit in der Sünde, Ihn gewinnen wir wieder durch den Glauben und dessen Bekenntnis.
c) I. Die Religion oder Gottesverehrung hat 1. unmittelbare Thätigkeiten, wie anbeten, opfern etc. Andere Thätigkeiten gehören ihr 2. mittelbar an, indem sie andere Tugenden hinlenkt zur Ehrerbietigkeit vor Gott; wie ja die Tugend, welche auf den Zweck sich richtet, befiehlt den Tugenden, welche auf das Zweckdienliche gehen. Und in letzter Weise sind Thätigkeiten der Gottesverehrung: die Witwen und Waisen in ihren Trübsalen besuchen, was unmittelbar der Barmherzigkeit angehört; und: makellos sich bewahren vor dieser Welt, was unmittelbar der Mäßigkeit angehört. II. Nicht im eigentlichen Sinne wird da „Religion“ gebraucht. Deshalb schickte Augustin die Worte voraus: „Wird der Ausdruck religio im besonderen Sinne genommen, so bezeichnet er keine andere beliebige, sondern nur die Verehrung Gottes.“ III. Die Herrschaft kommt Gott zu in besonderer, einzig dastehender Weise, weil Er Alles gemacht hat und Er in allen Dingen den Vorrang besitzt. Also gebührt Ihm auch ein besonderer, einzig dastehender Dienst; und dieser wird mit einem griechischen Namen latria genannt, gehört also zur „Religion“. IV. Wir verehren Menschen durch unsere Anerkennung, durch unser Denken an sie, durch unseren Besuch. Weil aber Gott eine besondere, ganz eigene Anerkennung geschuldet wird als dem ersten Princip des All, so gebührt ihm eine ganz besondere Verehrung oder ein eigenster Kult, von den Griechen εὐσέβεια oder θεοσεβία genannt, (Aug. de civ. Dei 1.) V. Im besonderen Sinne nennt man „Religiöse“ jene, die ihr ganzes Leben dem Kulte Gottes widmen und sich von den weltlichen Geschäften zurückziehen; wie ja auch „Beschauliche“ im besonderen Sinne genannt werden, welche der geistigen Beschauung ihr ganzes Leben widmen. Dieselben unterwerfen sich nicht einem Menschen als solchen, sondern im Menschen Gott selber, nach Gal. 4.: „Wie einen Engel Gottes habt ihr mich auf genommen, wie Christum Jesum.“
