Zweiter Artikel. Die Gottesverehrung ist eine Tugend.
a) Dem steht entgegen: I. Verehren ist ein Akt der Furcht, die da eine Gabe des heiligen Geistes ist. II. Alle Tugend ist im freien Willen begründet. Die Gottesverehrung aber ist ein Dienst. III. Alle Tugend wohnt uns von Natur inne, so daß Alles, was zur Tugend gehört, von der natürlichen Vernunft bereits geboten wird. Die Ceremonien aber, mit denen wir Gott verehren, kommen nicht von der natürlichen Vernunft. Auf der anderen Seite wird die Religion oder Gottesverehrung unter den übrigen Tugenden aufgezählt.
b) Ich antworte, die Tugend mache das Werk des Menschen zu einem guten, wie oft gesagt. Also muß jede gute Thätigkeit einer Tugend angehören. Jemandem aber geben, was man ihm schuldet, hat den Charakter von etwas Gutem. Denn dadurch tritt jener, der das thut, in das ordnungsmäßige Verhältnis zu demjenigen, dem gegenüber er es thut; und die Ordnung gehört immer, sowie das Maß und die Gestalt oder die Form, zum Wesen des Guten. Da also die Gottesverehrung den Menschen befähigt, Gott die Ihm gebührende Ehre zu geben, so ist sie eine Tugend.
c) I. Gott verehren ist allerdings die Thätigkeit der Gabe der Furcht. Der Tugend der Gottesverehrung aber kommt es zu, Manches zu thun auf Grund der Ehrfurcht vor Gott. Die Gottesverehrung also ist nicht die Gabe der Furcht, sondern steht zu ihr in Beziehung wie zum Hauptsächlicheren; denn die Gaben des heiligen Geistes stehen höher wie die moralischen Tugenden. II. Auch der Knecht kann aus freien Stücken das dem Herrn gegenüber thun, was er doch thun muß; und so aus der Notwendigkeit eine Tugend machen. Insoweit also der Mensch aus freien Stücken Gott dient, ist dies ein Akt der Tugend. III. Einiges überhaupt oder im allgemeinen zu thun, um Gott zu ehren, ist Vorschrift der natürlichen Vernunft. Daß jenes oder dieses Bestimmte geschieht, das kommt vom göttlichen oder menschlichen Recht.
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