Erster Artikel. Die Wahrsagerei ist eine Sünde.
a) Dem scheint nicht so. Denn: I. Die Wahrsagerei beschäftigt sich mit Göttlichem, wie z. B. mit Vorherwissen des Zufälligen. Das deutet aber mehr auf Heiligkeit hin als auf Sünde. II. Augustin sagt (1. de lib. arbitr. 1.): „Wer möchte wohl sagen, der Unterricht sei etwas Böses? … Nie möchte ich behaupten, irgendwelches Verständnis sei schlecht.“ Einige Künste aber, die einen Gegenstand des Unterrichts bilden, dienen der Wahrsagerei; und zudem schließt Wahrsagerei ein gewisses Verständnis der Wahrheit ein. III. Die Hinneigung der Natur ist nichts Schlechtes. Von Natur aber sind die Menschen darum bekümmert, die Zukunft zu wissen; wozu Wahrsagerei hilft. Also ist dieselbe keine Sünde. Auf der anderen Seite heißt es Deut. 18.: „Keiner soll die Zauberer befragen und die Wahrsager;“ und Decr. 26 Qq. 5. cap. 2. be straft kanonisch die Wahrsagerei.
b) Ich antworte, der Name „Wahrsagerei“ bedeute eine gewisse Vorherverkündigung des Zukünftigen. Das Zukünftige aber kann erkannt werden: 1. in seinen Ursachen; 2. in seinem eigenen thatsächlichen Bestande. Einige Ursachen nun bringen mit Notwendigkeit ihre Wirkungen hervor; und diese letzteren können dann von den kundigen mit Gewißheit vorhergesagt werden wie die Astronomen die Sonnenfinsternisse vorherverkünden. Andere Ursachen bringen für gewöhnlich ihre Wirkungen hervor; ermangeln deren aber manchmal, wenn auch selten; — und diese Wirkungen können dann von den kundigen mit Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden, wie z. B. von den Astronomen Dürre und Nässe, von den Ärzten der Tod oder die Gesundheit. Die dritte Art Ursachen, wie die vernunftbegabten, tragen für nichts Einzelnes von vornherein in sich eine Bestimmung; und Wirkungen solcher Ursachen können nur mit Gewißheit erkannt werden, wenn dieselben thatsächlichen Bestand haben. Die Menschen nun schauen solche Wirkungen nur, wenn diese letzteren wirklich bestehen; wie z. B. man sieht, daß Sokrates lauft, wenn er lauft. Gott allein, der in seiner Ewigkeit Alles wie etwas Gegenwärtiges sieht, ist es eigen, dergleichen Wirkungen zu wissen, ehe sie geschehen. Deshalb heißt es bei Isai. 41.: „Verkündet, was in der Zukunft verborgen ist; und ich werde sagen, ihr seid Götter.“ Wer also Solches von sich aus vorhersagen will, was man nur wissen kann, wenn Gott es offenbar macht, der maßt sich an, was Gottes ist. Wer somit vorhersagt, was mit absoluter Notwendigkeit folgt oder doch für gewöhnlich, in den meisten Fällen, oder auf Grund göttlicher Offenbarung; — der wird nicht Wahrsager genannt; denn er sagt dann wohl Wahres, aber er will dieses Wahre nicht aus sich schöpfen, sondern aus den rechtmäßigen Gründen. Nur wer auf ungebührliche Weise sich mit der Ankündigung des Zukünftigen befaßt, wird Wahrsager genannt und ist danach die Wahrsagerei immer Sünde. Deshalb sagt Hieronymus mit Recht (sup. Michaeam in c 3.): „Wahrsagerei wird immer als etwas Schlechtes betrachtet.“
c) I. Wahrsagerei wird nicht so genannt, weil sie in geordneter Weise am Wahren, also an etwas Göttlichem teilnimmt; sondern weil sie sich anmaßt, Göttliches zu wissen. II. Wenn Künste bestehen, die den Zweck haben, solche zukünftige Wirkungen vorauszusagen, die mit Notwendigkeit oder für gewöhnlich erfolgen, so gehören sie nicht der Wahrsagerei an. Um anderes Zukünftige zu erkennen giebt es keine wahren Künste; sondern Täuschungen sind dies, die der Teufel eingeführt hat. (21. de civ. Dei 6.) III. Die natürliche Hinneigung des Menschen richtet sich auf das Zukünftige, um es in menschlich zukommender Weise zu erkennen; nicht nach Weise der Wahrsagerei.
