Sechster Artikel. Traumdeuterei ist unerlaubt.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Von Gott belehrt werden, ist nicht unerlaubt. Im Traume aber werden die Menschen von Gott belehrt; wie Job sagt: „Während des Traumes in nächtlichem Gesichte, wenn der Schlaf die Menschen überkommt und sie schlafen auf ihrer Lagerstätte, da öffnet Gott die Ohren der Männer und erzieht und unterrichtet sie in der heiligen Zucht.“ Traumdeuterei ist also nicht unerlaubt. II. Zudem haben heilige Männer, wie der ägyptische Joseph und Daniel, die ihnen vom Pharao und vom König von Babylon vorgelegten Träume gedeutet. III. Es ist schließlich eine ganz allgemeine Erfahrung, daß die Menschen meinen, Träume haben eine gewisse Bedeutung. Also ist es unvernünftig, das zu leugnen. Auf der anderen Seite heißt es Deut. 18.: „Keiner möge in einer Mitte gefunden werden, der da Traumdeuter ist.“
b) Ich antworte, jedes Wahrsagen, was auf eine falsche und eitle Meinung sich stützt, sei abergläubisch und unerlaubt. Deshalb muß erwogen werden, was denn Wahres sei an dem Vorhererkennen der Zukunft vermittelst der Träume. Nun sind die Träume manchmal die Ursache zukünftiger Begebnisse; wie wenn jemand infolge dessen, was er im Träume gesehen hat, in Sorgen kommt und dadurch verleitet wird, etwas zu thun oder zu lassen. Bisweilen aber sind Träume Zeichen zukünftiger Begebnisse, insoweit sie sich auf eine Ursache zurückführen lassen, welche den Träumen und diesen Begebnissen gemeinsam ist; und danach vollzieht sich vielfaches Vorhererkennen des Zukünftigen in Träumen. Es muß also berücksichtigt werden, welche Ursache für die Träume besteht und ob diese gleiche Ursache die zukünftigen Begebnisse verursachen oder sie erkennen kann. Die Ursache der Träume nun ist bisweilen eine innerliche, bisweilen eine außenstehende. Die innerliche Ursache der Träume ist eine doppelte: 1. eine, die vom sinnlichen Leben kommt; und danach träumt man davon, d. h. der Phantasie tritt das entgegen im Schlafe, woran im wachenden Zustande viel gedacht und womit man sich viel beschäftigt hat; eine solche Ursache ist nicht die Ursache der zukünftigen Begebnisse und trifft der Traum und das Zukünftige zusammen, so ist das Zufall; — 2. eine körperliche. Denn infolge der innerlichen Verfassung des Körper bildet sich in der (stofflichen) Phantasie eine gewisse Bewegung, welche dieser Verfassung entspricht; wie z. B. dem Menschen, in welchem die kalten Säfte überwiegen, im Traume es begegnet, daß er sich vorkommt, als ob er im Wasser oder im Schnee sich befinde; und deshalb sagen die Ärzte, man solle auf die Träume achtgeben, um zu erkennen, wie beschaffen die inneren Verfassungen des Körpers sind. Die äußere Ursache der Träume ist ebenfalls eine doppelte: 1. eine körperliche, inwieweit die Einbildungskraft des träumenden beeinflußt wird von der ihn umgebenden Luft oder vom Einwirken des Lichtes der Himmelskörper und so dem schlafenden Phantasiebilder erscheinen, die dem Zustande der Himmelskörper, insoweit diese eine verursachende Kraft haben, entsprechen; — 2. eine geistige: und zwar entweder Gott, der durch den, Dienst der Engel den Menschen in Träumen Manches enthüllt, nach Num. 12.: „Wenn unter euch ein Prophet des Herrn ist, im Traumgesicht will ich ihm erscheinen und im Schlafe will ich zu ihm sprechen;“ — oder die Dämonen, welche im Traume bisweilen den Menschen erscheinen und ihnen manches Zukünftige verkünden, soweit die Menschen mit ihnen eine Übereinkunft haben. Gebraucht also jemand die Träume, um Zukünftiges vorherzusagen, insoweit dieselben von göttlicher Offenbarung ausgehen oder von einer innerlichen oder äußerlichen natürlichen Ursache — im Bereiche dieser natürlichen Ursache — so ist das kein unerlaubtes Vorhersagen. Wird aber das Vorhererkennen verursacht durch Enthüllungen von seiten der Dämonen, mit denen eine Übereinkunft stattfindet, sei es ausdrücklich durch Anrufen derselben sei es stillschweigend, insofern ein derartiges Wahrsagen sich erstreckt darauf, worauf es sich nicht erstrecken soll; — so ist ein solches Wahrsagen abergläubisch und unerlaubt.
c) Damit beantwortet.
