Achter Artikel. Das Losen.
a) Das Los ziehen ist nicht unerlaubt. Denn: I. Zu Ps. 30. (in manibus tuis) sagt Augustin: „Das Los ist nichts Schlechtes, sondern zeigt inmitten des menschlichen Zweifelns den göttlichen Willen an.“ II. Josue (Jos. 7.) strafte auf Grund des Loses nach Anordnung des Herrn jenen, der von dem Gott Geweihten etwas behalten hatte. Saul zog das Los, um zu sehen, wer vom Honige gegessen hatte. (1. Kön. 14.) Über Jonas wurde das Los geworfen und daraufhin er ins Meer gestürzt. Das Los traf den Zacharias, daß er ausging, um Weihrauch daraufzulegen. (Luk. 1.) Mathias wurde durch das Los zum Apostel erwählt. Also ist das Wahrsagen durch das Los nichts Unerlaubtes. III. Der Zweikampf, das Feuer- oder Wasserurteil etc. gehören mit zum Losen. David aber kämpfte so mit dem Philister. Also scheint das nichts Unerlaubtes zu sein. Auf der anderen Seite heißt es Decr. 26 Qq. 5. cap. 7.: „Jenes Losen, womit ihr in eueren Provinzen Alles entscheidet, haben die Väter verworfen; wir erklären, es sei dies nichts Anderes, wie Wahrsagen und Zauberei. Wir wollen deshalb, daß dieses Losen ganz und gar verworfen werde; der es thut, soll nicht mehr Christ genannt werden, und wir verbieten es unter Strafe der Exkommunikation.“
b) Ich antworte, man nenne „Losen“ dies, wenn etwas geschieht, damit auf Grund des Geschehenen Verborgenes bekannt werde. Wird nun durch das Los gesucht, wem etwas gebühre, sei dies Ehre oder Besitz oder eine Würde oder Strafe oder eine Thätigkeit, so ist dies ein Losen, welches teilt oder zuteilt (sors divisoria); wird gefragt, was man thun folle, so ist dies ein Losen, das der Beratung dient (sors consultoria). Die menschliche Thätigkeit nun vor Allem und ihr Ergebnis unterliegt nicht dem maßgebenden Einflusse der Sterne. Wer also in der Absicht sich des Losen bedient, als ob derartige menschliche Akte, über welche gelost werden so gewirkt werden gemäß der Stellung der Sternbilder oder daß ihr Ergebnis danach sich gestalte; dessen Meinung ist falsch und eitel und entbehrt so nicht der Einflößung von seiten der Dämonen. Somit ist ein solches Losen unerlaubt und abergläubisch. Was nun die übrigen Ursachen betrifft, so kann man das Ergebnis der mit dem Losen verbundenen Thätigkeiten entweder vom Zufalle erwarten oder von einer geistigen leitenden Ursache. Mit Bezug auf das Erstere, was nur beim „teilenden oder zuteilenden Losen“ (soirs divisoria) statthaben kann, so scheint da beim Losen nur etwa der Fehler eines leeren unnützen Spiels zu sein; wie wenn mehrere etwas nicht in Eintracht teilen können und das Los werfen, um so dem Zufalle es zu überlassen, wer einen betreffenden Teil erhält. Wird jedoch von einer geistigen leitenden Ursache die Entscheidungerwartet, so erwartet man sie bisweilen von den Dämonen; wie Ezech. 21. berichtet, „der König von Babylon stehe auf dem Scheidewege, wo zwei Wege beginnen, und da er die Zukunft wissen wollte, mengte er die Pfeile untereinander, fragte die Götzenbilder und forschte um Rat bei den Eingeweiden;“ — solches Losen ist unerlaubt und von den Kanones verboten. Manchmal aber erwartet man die Entscheidung von Gott, nach Prov. 16.: „Die Lose wirft man zusammen; aber vom Herrn werden sie gelenkt.“ Und solches Losen ist an sich nicht schlecht, wie Augustin (I. c.) sagt. Dabei kann jedoch in vierfacher Weise gefehlt werden: 1. wenn man ohne alle Notwendigkeit zum Losen seine Zuflucht nimmt; denn dies heißt dann: Gott versuchen, wie Ambrosius sagt: „Wer durch das Los erlesen wird, ist nicht durch menschliches Urteil erwählt;“ — 2. wenn jemand, obgleich im Falle der Notwendigkeit, jedoch ohne die nötige Ehrfurcht vor Gott sich des Losens bedient; weshalb Beda sagt (sup. Act. apostol. c. 20): „Meint jemand, durch Notwendigkeit gezwungen, er könne durch das Los Gott um Rat fragen, so schaue er wohl auf das Beispiel der Apostel, die erst, nachdem sie alle zusammen waren und nach eifrigem Gebete zu Gott, das Los warfen;“ — 3. wenn man den Spruch Gottes zu irdischen Geschäften verkehrt; weshalb Augustin sagt (ep. 55. ad Januar.): „Wenn man auf den Blättern des Evangeliums vom Losen liest, obgleich es besser ist, daß man dies vielmehr thut als daß man die Dämonen um Rat fragt; so gefällt mir doch diese Gewohnheit nicht, daß man zu rein weltlichen Geschäften und zur Eitelkeit des menschlichen Lebens die göttlichen Willensaussprüche verkehren möchte;“ — 4. wenn man bei kirchlichen Wahlen, welche durch das Einsprechen des heiligen Geistes geleitet werden sollen, sich des Losens bedienen will; wozu Beda bemerkt: „Mathias wird vor der Herabkunft des heiligen Geistes durch das Los erwählt, weil nämlich noch nicht die Fülle des heiligen Geistes sich auf die Kirche ergossen hatte; die sieben Diakonen aber wurden später nicht durch das Los, sondern durch die Wahl der Jünger Christi erlesen.“ Anders freilich verhält es sich mit weltlichen Würden, denen die Verwaltung zeitlicher Dinge obliegt. In der Auswahl dazu bedienen sich die Menschen sehr oft des Losens, wie auch in der Teilung zeitlichen Besitzes. Liegt jedoch eine Notwendigkeit vor, so kann man mit der gebührenden Ehrfurcht Gott anflehen, sein Urteil zu geben. Deshalb sagt Augustin (ad Honor. ep. 228.): „Wenn unter den Dienern Gottes gestritten wird, wer zur Zeit der Verfolgung bleiben solle, damit nicht alle fliehen; und wer fliehen soll, damit nicht durch den Tod aller die Kirche verwaist werde; — kann dieser Streit nicht anders beigelegt werden, so darf man losen.“ Und (de doctr. christ. 28.): „Wenn du in etwas zu viel hast und du willst es dem geben, der nichts hat; wenn dir aber da zwei entgegentreten, die beide dessen bedürfen, nur einer jedoch es erhalten kann; so darfst du, falls sonst kein Grund für einen von beiden überwiegt, wie die größere Bedürftigkeit oder die Bekanntschaft, das Los entscheiden lassen; es wird dies das Gerechteste sein.“
c) I. und II. sind damit beantwortet. III. Das Gottesurteil mit dem glühenden Eisen oder mit heißem Wasser hat zwar zum Zweck die Enthüllung von etwas Verborgenem, was sündhaft ist, und vollzieht sich durch etwas, was vom Menschen aus geschieht; und darin kommt es überein mit dem Losen im allgemeinen. Jedoch wird da ein Wunder von Gott erwartet; und darin geht es über das Losen im allgemeinen hinaus. Dergleichen Urteile also sind unerlaubt; 1. weil sie den Zweck haben, über Verborgenes zu urteilen, was Gott allein zukommt; und 2. weil dergleichen Urteile nirgends von der göttlichen Autorität gebilligt worden sind. In dieser Beziehung erklärt Papst Stephan V. (2 Qq. 5. c. Consuluisti): „Durch glühendes Eisen oder heißes Wasser von jemandem ein Bekenntnis erpressen, dies billigen die heiligen Kanones nicht; und was durch Bestimmung der heiligen Väter nicht angeordnet ist, das soll man in abergläubische Gesinnung zu erfinden und zu thun nicht sich vermessen. Unserer Verwaltung ist es wohl erlaubt, zu urteilen auf freiwilliges Bekenntnis hin oder nachdem durch die Aussage der Zeugen das Vergehen öffentlich geworden ist; das Verborgene aber und Unbekannte ist jenem zu überlassen, der allein kennt die Herzen der Menschenkinder.“ Und dasselbe scheint von den Duellen zu gelten. Jedoch treten dieselben der gewöhnlichen Auffassung des Losens näher, weil da keine einem Wunder ähnliche Wirkung erwartet wird; es müßten denn die beiden Duellanten an Kräften oder an Kunst im Kämpfen fehr ungleich sein.
