Fünfter Artikel. Der Geiz ist nicht die größte der Sünden.
a) Dies scheint aber. Denn: I. Ekkl. 10. heißt es: „Nichts ist so verbrecherisch wie der Geiz … Nichts ist so ruchlos, wie das Geld lieben; denn ein solcher hält auch seine Seele feil.“ Cicero ebenso (1. de offic.): „Nichts entspricht so sehr einem engen, kleinen Herzen wie die Liebe zum Gelde.“ II. Der Geiz steht im schärfsten Gegensatze zur heiligen Liebe; denn Augustin schreibt (83 Qq. 36.): „Gift für die heilige Liebe ist die Begierde.“ Um so größer aber ist eine Sünde, je schärfer ihr Gegensatz zur Liebe ist. III. Der Geiz ist eine unheilbare Sünde, nach 4 Ethic. 1.: „Das Alter und jegliche Ohnmacht hat den Geiz zur Folge.“ Also ist der Geiz gleich einer Sünde gegen den heiligen Geist und somit die schwerste. IV. Ephes. 5. heißt es: „Geiz ist Götzendienst;“ dieser aber gehört zu den schwersten Sünden. Auf der anderen Seite ist nach Prov. 6. der Ehebruch eine schwerere Sünde wie der Diebstahl. Letzterer aber gehört in den Bereich des Geizes; also ist der Geiz nicht die größte Sünde.
b) Ich antworte; insoweit eine Sünde vom Übel ist, besteht sie im Verderben oder im Mangel eines Gutes; insoweit sie freiwillig ist, besteht sie im Begehren nach einem Gute. Also kann man die Schwere einer Sünde 1. bemessen nach der Größe des Guten, was verachtet wird; und danach ist die Sünde, welche sich gegen Gott unmittelbar richtet, die schwerste; dahinter kommt die Sünde gegen den Menschen und darauf die Sünde, die sich mit den äußeren vom Menschen gebrauchten Dingen beschäftigt, wozu also der Geiz gehört. Es wird 2. die Schwere einer Sünde bemessen nach dem Gute, dem sich das ungeregelte Begehren unterwirft; und so ist eine Sünde um so ungeregelter und somit um so schimpflicher, je geringer das Gut ist, dem sie ungeregelterweise anhängt. Nun stehen die äußeren Güter am tiefsten unter allen Gütern, auf die das menschliche Begehren sich richten kann; noch tiefer nämlich als die körperlichen Ergötzlichkeiten. Danach also hat der Geiz einen besonderen hervorragenden Grad der Häßlichkeit. Weil aber der Mangel am Guten sich in formal bestimmender Weise bei der Sünde verhält, die Zuwendung zu einem vergänglichen Gute in material bestimmbarer Weise; deshalb muß man vielmehr die Schwere einer Sünde beurteilen nach dem Guten, was verdorben wird und somit mangelt, als nach dem Gute, dem der Sünder sich unterwirft. Danach ist also die Habsucht nicht die größte Sünde.
c) I. Jene Stellen sprechen vom Geize, insoweit er sich den geringsten Gütern unterwirft; weshalb auch Ekkli. 10. bezeichnend als Grund hinzugefügt wird, „der geizige halte seine Seele feil,“ weil er nämlich seine Seele, d. h. sein Leben, Gefahren aussetzt, um Geld zu gewinnen. Auch Cicero fügt hinzu, es sei dies Sache eines „engen Herzens“; nämlich dem Gelde Unterthan zu werden. II. Augustin nimmt hier „Begierde“ für die Sucht nach irgend welchem zeitlichen Gute, nicht speciell für Geiz; infofern nämlich der Mensch um zeitlicher Güter willen das ewige Gut verachtet. III. Die Sünde gegen den heiligen Geist ist unheilbar auf Grund der Verachtung, weil nämlich der Mensch die Barmherzigkeit oder Gerechtigkeit Gottes oder im allgemeinen Solches, wodurch er von der Sünde abgezogen wird, verachtet; da kommt also die Unheilbarkeit von der größeren Schwere der Sünde. Der Geiz aber hat seine Unheilbarkeit vom menschlichen Mangel her, worin die Natur des Menschen, je länger sie dauert, immer weiter vorangeht. Denn je ohnmächtiger der Mensch wird, desto mehr bedarf er des Beistandes der äußeren Dinge und desto mehr fällt er daher in Geiz. Dadurch tritt also nicht so sehr die Schwere der Sünde hervor, als ihre Gefährlichkeit. IV. Wie der Götzendiener sich einer außen befindlichen Kreatur unterwirft, so ähnlich auch der Geiz; aber nicht in derselben Weise. Denn der Götzendiener bringt dieser Kreatur göttlichen Kult dar; der geizige aber begehrt das Geld ungeregelterweise zu seinem Gebrauche, nicht als Kultgegenstand. Und somit braucht der Geiz nicht eine so schwere Sünde zu sein wie der Götzendienst.
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