Sechster Artikel. Der Geiz ist eine sogenannte geistige Sünde.
a) Dem ist nicht so. Denn: I. Solche Sünden richten sich auf geistige Güter; — was beim Geize nicht der Fall ist. II. Der Geiz ist vielmehr eine fleischliche Sünde; denn er begleitet die Vergänglichkeit des Fleisches, wie man bei den Greifen sehen kann. III. Fleischlich wird jene Sünde genannt, durch welche der körperliche Teil des Körpers in Unordnung gerät, nach 1. Kor. 6, 18. Der Geiz aber quält den Menschen auch körperlich, so daß Chrysostomus (29. in Matth.) den besessenen bei Mark. 5., der da im Körper gequält wird, mit dem geizigen vergleicht. Also ist der Geiz keine geistige Sünde. Auf der anderen Seite zählt ihn Gregor (31. moral. 17.) zu den geistigen Sünden.
b) Ich antworte, die Sünden bestehen vornehmlich in den Hinneigungen; alle Hinneigungen der Seele oder die gesamten Leidenschaften haben aber ihren Abschlußpunkt im Ergötzen oder in der Trauer. (2. Ethic. 5.) Manche nun von diesen Ergötzungen sind fleischlich, manche geistig. Als fleischliche werden jene bezeichnet, welche sich vollenden im Gefühle des Fleisches; als geistige jene, welche sich vollenden allein in der Auffassung der Seele. Fleischliche Sünden also sind diejenigen, welche in fleischlichen Ergötzungen bestehen wie die Gaumenlust, die Unkeuschheit; geistige Sünden werden diejenigen genannt, welche im Ergötzen der geistigen Auffassung bestehen ohne fleischliches Ergötzen. Und derartig ist der Geiz; denn der geizige findet seine Freude darin, sich als den Besitzer von Reichtum aufzufassen. Also ist der Geiz eine geistige Sünde.
c) I. Der Geiz sucht am körperlichen Gegenstande kein fleischliches Ergötzen, sondern folgt der durch die Sinne vermittelten Auffassung. Allerdings steht er auf Grund des körperlichen Gegenstandes in der Mitte zwischen den rein fleischlichen und rein geistigen Sünden (wie z. B. dem Stolze, der nur den Vorrang sucht). II. Die Bewegung wird benannt nach ihrem Abschlußpunkte, nicht nach ihrem Ausgangspunkte. Fleischlich also heißt eine Sünde, weil sie ihren Abschluß sucht in körperlichem Ergötzen; nicht aber weil sie ausgeht von einem Mangel im Körper. III. Chrysostomus vergleicht den geizigen mit jenem vom Teufel besessenen (Mark. 5.); nicht weil dieser im Fleische gequält wurde, sondern wegen des Gegensatzes, weil nämlich wie der besessene sich entkleidete, so der geizige sich immer mehr mit Geld und Gut umgiebt.
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