Achter Artikel. Das beschauliche Leben hat lange Dauer.
a) Dagegen wird geltend gemacht: I. Das beschauliche Leben besteht in der Vernunft. Alle Vollkommenheiten aber der Vernunft, die diesem Leben entsprechen, werden leer gemacht werden, nach 1. Kor. 13.: „Die Prophetien werden entleert werden, die Sprachen werden aufhören, die Wissenschaften zerstört werden.“ Also. II. Die Süßigkeit der Betrachtung kostet man nur für den Augenblick und vorübergehend, so daß Augustin (10. Conf. cap. 40.) sagt: „Du läßt mich ich weiß nicht zu wie großer Süßigkeit im Innern meines Herzens zu; aber bald falle ich zurück in lästige Kümmernisse;“ und Gregor (5. moral. 23.): „In der Süßigkeit der innersten Betrachtung bleibt der Mensch nicht lange haften; denn die Größe des Lichtes selber, das in ihm sich bricht, bringt seine Seele wieder zu sich.“ III. Was der Natur des Menschen nicht angemessen ist, kann nicht dauern. „Das beschauliche Leben aber ist besser als daß es gemäß der menschlichen Natur wäre.“ (10 Ethic. 7.) Also dauert es nicht an. Auf der anderen Seite heißt es Luk. 10.: „Maria hat den besten Teil erwählt, der nicht von ihr wird genommen werden;“ denn „das beschauliche Leben fängt hier an und wird vollendet im Himmel.“ (Greg. l. c.)
b) Ich antworte, das beschauliche Leben habe 1. gemäß seiner Natur Dauer; denn sowohl richtet es sich auf Unvergängliches und Unverrückbares als auch hat es keinen Gegensatz, der es verderben könnte, da zum Ergötzen an sich betrachtet nichts im Gegensatze steht (1 Topic. 13.); — 2. hat das beschauliche Leben auch mit Rücksicht auf uns Dauer; denn es gehört einerseits dem unvergänglichen Teile in uns an und andererseits arbeiten wir nicht in der beschaulichen Thätigkeit, so daß wir da ohne Störung verbleiben können. (10 Ethic. 7.)
c) I. Das beschauliche Leben bleibt im Himmel auf Grund der Liebe, worin es seinen Ursprung und seine Vollendung hat; wenn auch die Art und Weise zu betrachten nicht dieselbe ist im Himmel und auf Erden: „Das beschauliche Leben fängt hier an, damit es im himmlischen Heim vollendet werde; denn das Feuer der Liebe, das hier zu brennen beginnt, entglüht in Liebe zu Gott noch mehr, wenn es Ihn, den es liebt, sieht.“ (Greg. in Ezech. hom. 14.) II. Nichts kann lange dauern in seiner höchsten Anspannung. Die höchste Spitze der Betrachtung aber ist, daß sie die Gleichförmigkeit göttlichen Schauens erreiche (Dionys. 4. de div. nom.; 3. de coel. hier.; oben Art. 6 ad II.), nämlich in der Verzückung. Mit Bezug darauf also dauert die beschauliche Betrachtung nicht; wohl aber mit Rücksicht auf die anderen Thätigkeiten in ihr. III. Dies sagt Aristoteles, weil uns das beschauliche Leben zukommt gemäß dem erhabensten Vermögen, gemäß der Vernunft nämlich, die unvergänglich und leidensunfähig ist und damit an Göttlichem teilnimmt.
