Siebenter Artikel. Das beschauliche Betrachten ist von Ergötzen begleitet.
a) Dies kann nicht statthaben. Denn: I. Das beschauliche Leben hat seinen Sitz vornehmlich in der Vernunft, während das Ergötzen zum Begehren gehört. II. Jeder Kampf hindert das Ergötzen. Gregor aber schreibt (14. in Ezech.): „Wenn die Seele sich anstrengt, Gott zu betrachten, ist sie wie in einem Kampfe; — manchmal ist sie obenauf, weil sie in ihrem Erkennen und Empfinden etwas vom unbeschränkten Lichte kostet; und manchmal sinkt sie in die Tiefe, weil sie des süßen Geschmackes ermangelt.“ Also ist das beschauliche Betrachten nicht von Ergötzen begleitet. III. Das Ergötzen folgt der vollendeten Wirksamkeit. (10 Ethic. 4.) Die beschauliche Betrachtung aber in diesem Leben ist unvollendet, nach 1. Kor. 13.: „Wir sehen jetzt wie in Rätseln und wie im Spiegel.“ Also ist da kein Ergötzen. IV. Die körperliche Verletzung hindert das Ergötzen. Das beschauliche Betrachten aber hat körperliche Verletzung zur Folge, nach Gen. 32., wonach Jakob, als er den Herrn „von Angesicht zu Angesicht“ gesehen hatte, hinkte. Also. Auf der anderen Seite „hat der Verkehr mit der Weisheit keine Bitterkeit, sondern Freude und Jubel.“ Sap. 8. „Das beschauliche Leben aber ist eine große Süßigkeit,“ sagt Gregor (I. c.).
b) Ich antworte, die beschauliche Betrachtung sei 1. etwas Ergötzliches als Thätigkeit der Vernunft, wie sie ihrer Natur nach dieser zukommt; wie ja immer jemandem die Thätigkeit, welche seinem Zustande oder der Natur seines Vermögens entspricht, angenehm ist. Das Wissen aber zumal „erstreben alle Menschen ihrer ganzen Natur gemäß“ (1 Metaph.) und sonach ergötzen sie sich im höchsten Grade an der Erkenntnis der Wahrheit. Natürlich wird dann dieses Ergötzen für jenen noch größer, der den Zustand der Weisheit oder Wissenschaft besitzt; denn er betrachtet ohne Schwierigkeiten. Das beschauliche betrachten wird 2. ergötzlich auf Grund seines Gegenstandes, insoweit nämlich jemand den geliebten Gegenstand betrachtet; wie ja dies auch beim körperlichen Sehen der Fall ist. Da also das beschauliche Leben in erster Linie besteht in der Betrachtung Gottes, wozu die heilige Liebe hinbewegt, so ist auch auf Grund des Gegenstandes das beschauliche Leben von Ergötzen begleitet. Nach beiden Seiten hin zudem überragt dieses Ergötzen alles menschliche Ergötzen. Denn die geistige Freude steht voran der sinnlichen, fleischlichen (I., II. Kap. 31, Art. 5); und die Liebe selber, womit Gott geliebt wird, ist über alle andere Liebe. Deshalb heißt es Ps. 33.: „Schmecket und sehet, wie süß der Herr ist.“
c) I. Das beschauliche Leben ist zwar dem Wesen nach in der Vernunft; hat aber sein Princip d. h. seinen bewegenden Anstoß im Willen, da man durch die Liebe zur Betrachtung getrieben wird. Und ebenso ist seine Vollendung im Willen, also im Ergötzen am Schauen des geliebten Gegenstandes. „Denn wenn jemand den, welchen er liebt, sieht; entglüht noch mehr seine Liebe,“ sagt Gregor (l. c.); und das ist die letzte Vollendung des beschaulichen Lebens, daß die göttliche Wahrheit nicht nur gesehen, sondern geliebt wird. II. Der Kampf, welcher aus dem Gegensatze entspringt, hindert das Ergötzen. Denn es ergötzt sich jemand nicht an der Sache, gegen die er ankämpft, sondern an jener, für die er kämpft; und „je größer die Gefahr im Kampfe gewesen, desto größer ist die Freude im Triumphe,“ sagt Augustin. (8. Conf. cap. 3.) Nun ist im beschaulichen Betrachten kein Kampf auf Grund eines Gegensatzes, sondern wegen des Mangels und der Ohnmacht unserer Vernunft; denn „der Körper, welcher vergeht, beschwert die Seele und die irdische Behausung drückt nieder den Sinn, der Vieles denkt.“ Und daher kommt es, daß der Mensch, wenn er einmal zur Betrachtung der Wahrheit kommt, er selbe glühender liebt und mehr haßt den eigenen Mangel und das Gewicht des eigenen Verderbens, so daß Paulus sagt (Röm. 7.): „Ich unglückseliger Mensch; wer wird mich befreien vom Körper dieses Todes?“ und Gregor (l.
c): „Wenn Gott bereits durch die Sehnsucht und die Vernunft gekannt wird, dorrt aus in uns alle Freude des Fleisches.“ III. Mit Bezug auf das Schauen und Ergötzen im Himmel, wovon Ps. 35. es heißt: „Mit Strömen von Wonne wirft Du uns tränken,“ ist das Schauen und Ergötzen auf Erden unvollkommen. Aber im Vergleich zum Irdischen ist die Betrachtung göttlicher Dinge wonnevoller und ergötzlicher wie alles andere irdische Ergötzen, so daß Aristoteles (1. de partib. animal. 5.) sagt: „Wir wissen wenig von jenen göttlichen (rein geistigen) Dingen; aber so wenig uns davon zu erkennen gegeben ist, wegen der Höhe des Gegenstandes bereitet diese Erkenntnis mehr Wonne wie Alles bei uns auf der Erde.“ Deshalb sagt Gregor (sup. Ezech. l. c.): „Sehr große Süßigkeit ist das beschauliche Leben; es hebt die Seele über sich selbst, schließt auf das Himmlische, öffnet die Augen des Geistes.“ IV. Jakob hinkte; denn „notwendig muß die Weltliebe in jenem geschwächt werden, der da erstarkt in der Liebe Gottes … Deshalb bleibt, nachdem wir die Süßigkeit Gottes erkannt haben, ein Fuß gesund in uns und der andere hinkt; denn wer mit einem Fuße hinkt, muß sich auf den andere stützen,“ sagt Gregor (I. c.).
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