Sechster Artikel. Unter den kirchlichen Oberen sind nur die Bischöfe im Stande der Vollkommenheit.
a) Dem steht entgegen: I. Hieronymus sagt zu Tit. 1. (ut constituas per civitates): „Ehemals war Priester dasselbe wie Bischof… Wie also die Priester wissen, sie seien gemäß kirchlichem Gebrauche dem, der ihnen vorgesetzt ist, untergeben; so mögen die Bischöfe daran denken, daß sie mehr nach Herkommen wie kraft der Wahrheit des Willens Christi über den Priestern stehen und daß sie gemeinsam mit den Priestern die Kirche leiten müssen.“ Die Bischöfe aber sind im Stande der Vollkommenheit; also sind es auch die Priester als Seelsorger. II. Wie die Bischöfe so werden auch die Seelsorgepriester behufs der Seelsorge feierlich geweiht und eingesetzt in ihr Amt. Denn Act. 6. heißt es: „Wählet, Brüder, sieben Männer, denen ein gutes Zeugnis zur Seite steht;“ und dazu bemerkt Beda: „Hier bestimmten die Apostel, es sollen durch die Kirche sieben Diakone ausgewählt werden, die auf eine höhere Stufe gestellt würden und wie Säulen wären, die dem Altare am nächsten ständen.“ Also sind auch sie im Stande der Vollkommenheit. III. Wie die Bischöfe so sind auch die Priester verpflichtet, für die ihnen anvertrauten Seelen ihr Leben einzusetzen. Also sind sie wie diese im Stande der vollkommenen Liebe. Auf der anderen Seite sagt Dionysius (5. de eccl. hier.): „Der Rang der Hohenpriester zwar vollendet und schließt ab; jener der Priester aber erleuchtet und erhellt; jener der Diener am Altare reinigt und scheidet.“ Also wird danach die Vollendung oder Vollkommenheit nur den Bischöfen zugeschrieben.
b) Ich antworte; bei den Seelsorgepriestern muß unterschieden werden die Weihe oder Rangstufe selbst und die Seelsorge. Durch die Weihe werden sie ermächtigt, im göttlichen Dienste am Altare ein Amt mit einer bestimmten Thätigkeit zu versehen. Danach also erhalten sie ein Amt und können heilige Handlungen vornehmen. Nicht aber verpflichten sie sich dadurch zu dem, was zur Vollkommenheit gehört; außer insoweit in der occidentalischen Kirche mit der Übernahme einer heiligen Weihe das Gelübde der Keuschheit verbunden ist, die etwas zur Vollkommenheit Gehöriges ist. Also ist mit dem Priestertume an und für sich oder schlechthin nicht der Stand der Vollkommenheit gegeben, obgleich eine gewisse innere Vollkommenheit dazu gehört, um würdig das heilige Amt zu versehen. Auch mit der übertragenen Seelsorge erscheint der Stand der Vollkommenheit nicht verbunden. Denn die Priester werden nicht durch das Band eines beständigen Gelübdes dazu verpflichtet, die Seelsorge beizubehalten; sie können auf selbige verzichten entweder indem sie, auch ohne Erlaubnis des Bischofes, in einen Orden treten (decr. 19 Qq. 2. cap. duae sunt) oder, mit der Erlaubnis des Bischofes, eine andere Stelle ohne Seelsorge übernehmen; was nicht freistände, wenn sie im Stande der Vollkommenheit lebten. Denn „niemand, der die Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist passend für das Himmelreich.“ (Luk. 9.) Die Bischöfe aber dürfen nur mit Erlaubnis des Papstes, der in lebenslänglichen Gelübden dispensieren kann, auf ihr Bistum verzichten, denn sie sind im Stande der Vollkommenheit; und zwar müssen sie durch stichhaltige Gründe zum Verzichtleisten bewogen worden sein. (S. unt. Kap. 185, Art. 4.) Nur also die Bifchöfe sind im Stande der Vollkommenheit.
c) I. Über Priester und Bischof können wir 1. sprechen mit Rücksicht auf den Namen; und danach wurde ehemals kein Unterschied gemacht zwischen beiden. Denn „Bischöfe“ will sagen: Aufsicht führende (Aug. 19. de civ. Dei 19.); und „Priester“: die Älteren. Deshalb gebraucht auch der Apostel den Namen „Priester“ für beide, wenn er 1. Tim. 6. sagt: „Die da gut vorstehen als Priester sind doppelter Ehre würdig;“ und ähnlich thut er mit dem Namen „Bischöfe“, wie er Act. 20. sagt: „Gebet acht auf euch und auf die gesamte Herde, in welcher euch der heilige Geist als Bischöfe aufgestellt hat zu leiten die Kirche Gottes.“ Der Sache nach aber bestand immer ein Unterschied zwifchen Bischof und Priester, auch zur Zeit der Apostel, wie oben aus Dionysius (5. de eccl. hier.) hervorgeht und wie zu Luk. 10. (post haec autem designavit) Beda sagt: „Wie die Apostel die Bischöfe vorstellen, so die zweiundsiebzig Jünger die Priester, nämlich die zweite kirchliche Rangstufe.“ Damit jedoch Verwirrung vermieden werde, war es später notwendig, auch die Namen streng voneinander zu scheiden. Sagen aber, die Priester seien nicht unterschieden von den Bischöfen, ist nach Augustin Häresie (de hares. nr. 53.); es behaupteten dies die Aërianer (andere cod. Arianer), zwischen Bischof und Priester sei kein Unterschied. II. Den Bifchöfen liegt in erster Linie die Sorge für die Seelen in ihrer ganzen Diöcese ob; die Pfarrer und Erzdiakone haben, den Bischöfen untergeordnet, einen von diesen abgegrenzten Umkreis zu verwalten. Deshalb sagt zu 1. Kor. 22. (Alii opitulationes, alii …) die Glosse: „Opitulationes d. h. Hilfeleistungen; das geht jene an, welche den höheren Vorstehern helfen, wie Titus dem Apostel, die Erzdiakone den Bischöfen; gubernationes d. h. Leitung; das geht die geringeren Vorgesetzten an, wie die Priester, welche unmittelbar dem Volke zugeteilt sind.“ Und Dionysius schreibt (5. eccl. hier.): „Wie wir die gesamte heilige Herrschaft in Jesu abgeschlossen sehen, so für die einzelnen Verwaltungen im eigenen von Gott verordneten Bischöfe.“ Decr. 16 Qq. 1. cap. Cunctis heißt es deshalb: „Alle Priester und Diakonen haben dafür zu sorgen, daß sie nichts ohne Erlaubnis des eigenen Bischofs thun.“ Sonach verhalten sie sich zum Bischöfe wie die Minister und Regierungsbeamten zum Könige. Wie also im Bereiche der weltlichen Macht der König allein die feierliche Weihe erhält, die anderen aber einfach von ihm eingesetzt werden, so wird mit Feierlichkeit in der Kirche die bischöfliche Obsorge dem betreffenden anvertraut; die Sorge aber für eine Pfarrei wird einfach einem Priester übertragen, die Weihe zum priesterlichen Amte hat der Priester schon vorher, ehe er Seelsorge ausübte. III. Die Pfarrer etc. haben nicht an leitender Stelle die Seelsorge, sondern es ist ihnen eine gewisse beschränkte Verwaltung nur vom Bischöfe anvertraut; und somit liegt ihnen auch nicht vorzugsweise die Hirtensorge ob und sind sie nicht verpflichtet, für die ihnen anvertraute Herde ihr Leben einzusetzen, außer soweit sie an der Seelsorge Anteil haben. Sie haben also ein Amt, das zur Vollkommenheit Beziehung hat, nicht aber sind sie im Stande der Vollkommenheit.
