Siebenter Artikel. Der bischöfliche Stand ist vollkommener wie der Ordensstand.
a) Dem steht entgegen: I. Der Herr sagt (Matth. 19.): „Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe Alles, was du hast, und gieb es den armen.“ Das thun die Ordensleute wohl; nicht aber die Bischöfe, von denen 12 Qq. 1. cap. 19. es heißt: „Von dem, was die Bischöfe an Eigenem besitzen, mögen sie den Erben hinterlassen, soviel sie wollen.“ II. Die Liebe Gottes steht höher wie die Liebe des Nächsten. Der Ordensstand aber steht in unmittelbarer Beziehung zur Liebe Gottes, weshalb die Ordensleute nach dem Dienste Gottes benannt werden (Dionys. ob.); während der bischöfliche Stand unmittelbarer auf die Liebe des Nächsten geht und von daher, von der Aufsicht über andere auch der Name kommt. (Aug. 19. de civ. Dei 19.) Also ist der Ordensstand vollkommener wie der bischöfliche. III. Der Ordensstand bezieht sich auf das beschauliche Leben, also auf das höhere; der bischöfliche auf das thätige. Denn Gregor sagt (Past. 1, 7.): „Da durch das thätige Leben Isaias den Nächsten nützen wollte, begehrte er das Amt der Predigt. Jeremias wollte in ruhiger Beschaulichkeit der Liebe zum Schöpfer nachgehen; und deshalb weigert er sich, das Predigtamt zu übernehmen.“ Also ist der Ordensstand vollkommener wie der Stand der Bischöfe. Auf der anderen Seite steht niemandem frei, von einem höheren Stande zu einem niedrigeren überzugehen; denn das hieße: zurückblicken. Vom Ordensstande aber heraus kann jemand zur bischöflichen Würde genommen werden; „die heilige Weihe macht aus einem Mönche einen Bischof,“ heißt es 18 Qq. 1. cap. Statutum. Also ist der bischöfliche Stand vollkommener wie der Ordensstand.
b) Ich antworte, der vollendende sei nach Augustin (12. sup. Gen. ad litt. 16.) immer höher wie der zu vollendende. Im Bereiche der Vollkommenheit aber sind die Bischöfe wie „Vollender“, die Ordensleute wie „zu Vollendende.“ Also ist der Stand eines Bischofes höher wie der eines Ordensmannes.
c) I. Die thatsächliche Verzichtleistung auf das Eigentum ist nicht die Vollkommenheit, sondern nur ein Werkzeug dafür; und sonach kann der Stand der Vollkommenheit wohl bestehen ohne einen solchen thatsächlichen Verzicht. Die Bereitwilligkeit aber, wenn nötig, Alles beiseite zu lassen, gehört zum Wesen der Vollkommenheit. Deshalb sagt Augustin (2. de Qq. ev. 11.): „Der Herr zeigte, wie die Kinder der Weisheit es wohl verstehen, daß nicht im Fasten und nicht im Essen die Gerechtigkeit bestehe, sondern im gleichmütigen Ertragen des Mangels.“ Und der Apostel sagt (Phil. 4.): „Ich weiß, im Überflüsse zu leben und Mangel zu leiden.“ Dazu sind aber die Bischöfe im höchsten Grade verpflichtet, all das Ihrige um Gottes Ehre und um des Heiles ihrer Herde willen zu verachten und, wenn nötig, es den armen zu verteilen oder den Raub ihrer Güter mit Freuden zu ertragen. II. Aus dem Übermaße der Liebe Gottes eben fließt die Sorge der Bischöfe für ihre Herde. Deshalb fragte der Herr den Petrus zuerst, ob er Ihn liebe, ehe Er ihm seine Herde anvertraute. Und Gregor (Past. 1, 5.) sagt: „Wenn die Sorge für die Seelen ein Zeugnis der Liebe ist, so wird jeder, welcher, mit Tugenden ausgestattet, die Herde Gottes zu weiden verschmäht, dadurch selber überführt, daß er den Herrn nicht liebe.“ Dies ist aber ein höherer Grad der Freundesliebe, wenn jemand um des Freundes willen noch anderen dient, als wenn er nur dem Freunde dient. III. „Der Obere sei im Wirken vorzüglich, in der Betrachtung beständig.“ (Gregor. Päst. 2, 1.) Also gerade der Bischof muß vor Allem betrachten, damit er lehren könne. Von den vollkommenen Männern, die nach der Betrachtung zu ihren Obliegenheiten zurückkehren, gilt gemäß Gregor (5. in Ezech.) das Wort (Ps. 144.): „Das Andenken an Deine Süßigkeit wird aus ihnen hervorquillen.“
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