Elfter Artikel. Das Verhältnis der Gnade Christi zum Unendlichen.
a) Die Gnade Christi ist unendlich. Denn: I. Alles Ungemessene ist unendlich. Die Gnade Christi aber hat kein Maß, nach Joh. 3.: „Nicht nach einem Maße giebt Gott den Geist dem Sohne;“ nämlich Christo. Also. II. Eine unendliche Wirkung ist das Zeichen einer unendlichen Ursache. Die Wirkung der Gnade Christi aber ist unendlich, da sie sich auf das Heil des ganzen Menschengeschlechtes bezieht, nach 1. Joh. 2.: „Er (Christus) ist die Sühne für unsere Sünden.“ Also ist die Gnade Christi unendlich. III. Alles, was ein Ende einschließt, kann durch Hinzufügen von etwas anderem Endlichen zu einem beliebigen endlichen Umfange gelangen. Wäre also die Gnade Christi etwas Endliches, so könnte die Gnade in einem anderen in der Weise anwachsen, daß sie gleich würde der Gnade Christi. Dies ist aber gegen Job. 28.: „Nicht wird Ihm gleich werden Gold oder Glas,“ gemäß der Erklärung Gregors des Großen (moral. 18, 27.). Also ist die Gnade Christi unendlich. Auf der anderen Seite ist die Gnade in der Seele etwas Geschaffenes. Alles Geschaffene aber ist endlich; nach Sap. 11.: „Alles hat Er in Maß, Zahl und Gewicht gemacht.“
b) Ich antworte, in Christo sei 1. die Gnade der Einigung, wonach die menschliche Natur ohne ihr Verdienst geeint ist mit der Person des Wortes; und diese Gnade ist unendlich, wie die Person des Wortes unendlich ist; — 2. die heiligmachende Gnade; und diese kann betrachtet werden entweder als ein Sein, wonach sie in der Seele Christi aufgenommen und demgemäß endlich ist, da die Seele Christi als Geschöpf nur eine beschränkte Fähigkeit im Aufnehmen besitzt; oder an sich ihrem Wesen nach als Gnade; und so kann sie als unendlich bezeichnet werden, da ihr keine Grenzen im Bereiche des Geschöpflichen gesteckt sind. Was nämlich auch immer zum Charakter der Gnade gehören kann, das hat Christus; weil Christo die Gnade verliehen worden gemäß dem Vorsatze des Willens Gottes als dem Princip des Gnadenlebens in der menschlichen Natur, nach Ephes. 1, 6.: „Er hat uns in Gnaden angenommen in seinem geliebten Sohne.“ So können wir sagen, das Sonnenlicht sei unendlich; nicht zwar gemäß seinem Sein, sondern unter dem Gesichtspunkte des Lichts, weil es Alles hat, was auch immer zum Charakter des Lichts gehören kann.
c) I. Diese Stelle wird (Joh. 3, 34.) 1. erklärt gemäß der ewigenGabe, die der Vater dem Sohne gegeben; nämlich gemäß der göttlichen Natur, „daß so groß der Sohn sei wie groß der Vater“ (Glosse). 2. Wird es erklärt von der Gnade der Einigung, die unendlich ist. Endlich wird es 3. erklärt von der heiligmachenden Gnade, inwieweit die Gnade Christi sich erstreckt auf Alles, was Gnade ist. Von der ersteren Gnade sagt die Glosse: „Wie der Vater ein vollkommenes vollendetes Wort zeugte, so ist ein vollkommenes und vollendetes Wort geeinigt worden mit der menschlichen Natur. Von der zweitgenannten schreibt Augustin (tract. 14. in Joan.): „Maß will heißen ein Teilen der Gaben,“ wie Paulus sagt (1. Kor. 12.): Dem einen wird gegeben durch den Geist die Rede der Weisheit, dem anderen die Rede des Wissens. Christus aber, der da giebt, hat nicht unter einem gewissen Maße empfangen. II. Die Gnade Christi hat eine unendliche Wirkung sowohl auf Grund der eben genannten Unendlichkeit als auch auf Grund der göttlichen Person, mit welcher die Seele Christi verbunden worden. III. Wie die Kraft des Feuers, so sehr sie anwachse, nie gleich werden kann der Kraft der Sonne, weil der betreffende Umfang der Kraft nicht auf beiden Seiten dem nämlichen Gesichtspunkte folgt, denn die Sonne ist allgemeines Princip der Wärme, jedes Feuer aber nur ein besonderes einzelnes; — so kann die Gnade eines Menschen wohl die eines jeden anderen erreichen, aber nicht die Christi; denn der Gesichtspunkt ist da nicht mehr der nämliche, da Christus das allgemeine Princip des Gnadenlebens ist.
