Einleitung
Wenige Monate, ehe dieser Brief geschrieben wurde, konnte Hieronymus in einem Schreiben an Marcella seiner Freude darüber Ausdruck verleihen, daß Blesilla, der heiligen Paula älteste Tochter, ihr Leben ganz Gott gelobt hatte. 1 Weitgehende Erwartungen knüpften sich an diese Bekehrung. Aber unvermutet fiel ein rauher Reif in dieses Frühlingshoffen. Vier Monate nach ihrem heiligen Entschlusse raffte ein plötzlicher Tod die von schwerer Krankheit Genesene im Alter von zwanzig Jahren hinweg. Der Schlag traf die Mutter aufs härteste. Ohnmächtig mußte sie aus dem Leichenzuge weggetragen werden; ja, fast sah es aus, als ob das schwere Unglück für Paula zur religiösen Krise werden könnte. Hieronymus, der selbst im Innersten erschüttert war infolge des unerwarteten Todes seiner geistigen Schülerin, suchte die Mutter wieder aufzurichten durch vorliegenden Brief, bei dem man zweifeln kann, ob er mehr Trost- oder Mahnschreiben sein sollte. Die Sprache, die der Tröster führt, ist keineswegs weichlich süß, sondern S. b12 stellenweise hart und rauh. An rhetorischer Übertreibung, wie Cavallera meint, 2 fehlt es gewiß nicht, besonders wenn Hieronymus zum Schlusse verspricht, auf jeder Seite, die er zu schreiben vorhat, der Verstorbenen zu gedenken.
Doch dürfte eine andere Erklärung für sein strenges Verhalten gegenüber der Frau, der er in edler, warmer Freundschaft zugetan war, richtiger sein. Mit dem Tode des Papstes Damasus war der letzte Damm gegen die lauernde Mißgunst hinweggespült, und den schlammigen Fluten des Volkshasses war die Bahn freigemacht. Hieronymus hatte sofort erfaßt, daß der Unwille, welcher nach Blesillas Tod bei den Feinden der aszetischen Kreise sich ungehindert Luft machte, nur durch eine stramme Haltung der fassungslosen Mutter einzudämmen war. Nur dann, wenn Paula sich als christliche Heldin zeigte, war die Krise der aszetischen Bewegung siegreich zu überwinden. Und Paula fand ihr seelisches Gleichgewicht wieder, wie ihre Übersiedlung ins Heilige Land, wo sie ein klösterliches Leben führen wollte, zur Genüge beweist. Immerhin mußten persönliche Opfer gebracht werden. Hieronymus, der einstige Anwärter auf den Stuhl Petri, für den er in weiten Kreisen gegolten hatte, mußte erkennen, daß er in Rom auf einem verlorenen Posten stand. Seine Heimkehr in den Orient war die Folge von Blesillas einer übertriebenen Aszese zugeschriebenem Tode.
Grützmachers vage Datierung (382—385) läßt sich näher bestimmen; 3 denn Praetextatus, dessen Witwe erwähnt wird, starb 384. 4 Kurz nach dem Feste Peter und Paul des gleichen Jahres nennt Hieronymus Blesilla bereits eine tiruncula des Gott geweihten Lebens. 5 Ihr Tod liegt vier Monate später, so daß der Brief frühestens im November des gleichen Jahres geschrieben sein kann. Da die leidenschaftlichen Angriffe auf Hieronymus vor Damasus Tode im Dezember 384 nicht recht wahrscheinlich sind, dürfte dieser Monat oder der Anfang des Jahres 385 in Frage kommen. Cavalleras Einwurf, daß des Damasus Tod hätte erwähnt sein müssen, S. b13 falls der Papst nicht mehr unter den Lebenden weilte, ist rein gefühlsmäßig und im Texte des Briefes keineswegs begründet. 6