4. Eine dreifache ungenügende Erklärung der Gnade.
Denn er mag nun sagen, die Gnade sei der freie Wille oder die Gnade sei die Vergebung der Sünden oder die Gnade sei die Vorschrift des Gesetzes, so erwähnt er Nichts von dem, was durch die Mittheilung des hl. Geistes zur Besiegung der Begierlichkeit und der Versuchungen gehört, welchen reichlichst über uns ausgoß Derjenige, welcher in den Himmel auffuhr und „gefangen führend die Gefangenschaft den Menschen Gaben schenkte."1 Deßhalb nemlich beten wir, daß wir die Versuchung zu den Sünden überwinden können, daß „Gottes Geist, von wo wir das Unterpfand erhielten, unsere Schwachheit unterstütze."2 Wer aber betet und sagt:3 „Führe uns nicht in Versuchung," betet sicherlich nicht darum, daß er Mensch sei, was Natur ist, noch betet er darum, daß er einen freien Willen habe, den er schon bei Erschaffung der Natur selbst erhalten hat, S. 144 noch bittet er um die Vergebung der Sünden, weil hievon schon vorher die Rede ist in den Worten:4 „Vergieb uns unsere Schulden;" auch betet er nicht, daß er einen Befehl erhalte, sondern er betet offenbar, daß er den Befehl vollführe. Denn wenn er in Versuchung geführt worden d. h. in der Versuchung gefallen ist, so begeht er jedenfalls eine Sünde, welche dem Gebote zuwiderläuft. Er bittet also damit er nicht sündige, d. h. damit er nichts Böses begehe, um was für die Corinthier der Apostel bittet mit den Worten:5 „Wir bitten aber zum Herrn, damit ihr nichts Böses thuet." Daher ist es einleuchtend, daß zum Nichtsündigen d. h. zum Nichtbösethun, obwohl die Freiheit des Willens nicht in Zweifel gezogen wird, doch dessen Kraft nicht ausreicht, wenn die Schwachheit nicht unterstützt wird. Das Gebet selbst also ist das deutlichste Zeugniß der Gnade. Diese mag Jener bekennen, und wir werden uns über ihn freuen, sei es als einen Rechtgläubigen, sei es einen Bekehrten.
