3.
Nachdem ein plötzlicher Sturm mich von Deiner Seite gerissen hatte und es bösen Menschen gelungen war, das enge Band der Liebe, mit dem ich an Dir hing, zu zerreißen, da stand eine dunkle Wetterwolke über meinem Haupte, da war ringsum nur noch Himmel und Wasser. 1 Schließlich fand ich, der ich aufs Geratewohl umherirrte, einem Schiffbrüchigen gleich, in Syrien einen sicheren Hafen. Inzwischen hatte meine Wanderung durch Thrakien, Pontus, Bithynien, ganz Galatien und Kappadokien und durch Kilikiens Gluthitze meine Kräfte aufgerieben. In Syrien habe ich, nachdem ich S. 6 alle möglichen Krankheiten erduldet, eines meiner beiden Augen eingebüßt, den Innocentius nämlich, 2 ein Stück meines eigenen Ich. Ihn hat ein plötzlicher Fieberanfall von meiner Seite weggerafft. Nun habe ich nur noch ein unversehrtes Auge, unseren guten Evagrius, 3 dem ich, der ständig Kranke, bei seiner vielen Arbeit eine schwere Belastung geworden bin. Bei uns war noch Hylas, der Sklave der heiligen Melania, 4 der den seinem Stand anhaftenden Makel durch die Reinheit seiner Sitten ausglich. Leider riß sein Tod die noch nicht vernarbte Wunde wieder auf. Doch des Apostels Wort verbietet uns, über die Entschlafenen zu trauern. 5 Auch ist der allzu große Schmerz durch das Eintreffen der freudigen Nachricht gemildert worden- So teile ich Dir diese Dinge nur mit, damit Du sie erfährst, falls Du noch nicht davon gehört hast; falls sie Dir aber bereits bekannt sind, damit Du Dich zusammen mit mir der Freude hingibst.
Ebd. III 193 f. ↩
Ein Mitglied des Freundeskreises zu Aquileja. Er ist der Empfänger der ep. 1, des ältesten literarischen Versuches unseres Heiligen. ↩
Evagrius, Presbyter aus Antiochien, wurde später (388) von Bischof Paulinus zum Bischof der Eustathianerpartei geweiht († 393), Vgl. Einleitung zu ep. 2 S. 1. ↩
Melania die ältere, Großmutter der jüngeren, war Rufins Begleiterin bei der Wallfahrt in die nitrische Wüste. Sie führte seit dem Tode ihres Gatten (365) ein aszetisches Leben († 410). In den origenistischen Streitigkeiten scheint sie für die Vertreter des Irrtums Partei ergriffen zu haben und fiel deshalb bei Hieronymus in Ungnade (vgl. Gr. I 26 f., 195; III, 68; Cav. I 1, 67). ↩
1. Thess. 4, 13. ↩
