[Vorwort]
Der Brief ist an einen Gallier gerichtet, der mit seiner Frau Artemia das Gelübde der ehelichen Enthaltsamkeit abgelegt hatte. Aus Schwäche brachen beide ihr Versprechen. Infolge der Wirren, die mit dem Einfall germanischer Volkerstämme im Westen Europas verbunden waren, trennten sich die beiden Gatten. Artemia reiste nach dem Hl. Lande, wohin Rusticus nachzukommen versprochen hatte. Sein Ausbleiben beunruhigte die um das Seelenheil ihres Mannes sehr besorgte Frau. Sie wandte sich, unterstützt von ihrer Freundin Hedibia, 1 an Hieronymus mit der Bitte, ihren Gatten an die Erfüllung seines Gelübdes zu erinnern. Dies geschieht im vorliegenden Briefe.
Stilistisch leidet der Brief unter einer ziemlich schleppenden Zusammentragung von Schriftstellen, die von der Strafe der Unbußfertigen und der Verzeihung, die dem reuigen Sünder gewährt wird, handeln. Ihre Aufzählung wird nur durch wenige selbständige Bemerkungen S. 348 unterbrochen, verrät aber die außergewöhnliche Vertrautheit unseres Heiligen mit der Bibel. Die Mahnung an Rusticus nimmt nur einen verhältnismäßig kleinen Teil des Briefes ein.
Es wurde die Vermutung ausgesprochen, 2 daß der Name Rusticus ein Pseudonym sei, gewählt, um den Empfänger in der Öffentlichkeit nicht bloßzustellen. Zu dieser Annahme liegt kein Anlaß vor. Der Name existierte in Gallien, wie ein Brief an einen anderen Träger des gleichen Namens zeigt. 3 Auch ist im Briefe der seltenere Name der Gattin Artemia erwähnt, der sicher echt ist, so daß eine Bloßstellung doch nicht verhindert wäre.
Die Erwähnung des Germanenzuges, der in das Jahr 406 zu verlegen ist, hat zur Folge, daß der Brief wohl nicht vor dem Jahre 407 geschrieben ist, da es immerhin einige Zeit dauerte, bis die Kunde von diesem Einfalt nach Palästina kam. Pronberger entscheidet sich für 408/09. 4
