3.
Beachte, wie reichlich die Tränen fließen müssen, so daß sie sogar mit einer Wasserflut verglichen werden! Wo dies der Fall ist, kann man mit Jeremias sprechen: „Nicht möge mein Augapfel schweigen.“ 1 Sofort wird sich an einem solchen Menschen zeigen, daß sich die Barmherzigkeit und Wahrheit begegneten, Gerechtigkeit und Friede sich küßten. 2 Haben Dich Gerechtigkeit und Wahrheit in Schrecken versetzt, dann mögen Barmherzigkeit und Friede Dich mahnen, an Deinem Heile zu arbeiten. Eine richtige Vorstellung von der Bußgesinnung vermittelt uns der fünfzigste Psalm. Als David zu Bethsabee, der Gattin des Hethiters Urias eingegangen war, 3 erwiderte er auf die S. 356 Zurechtweisung des Propheten Nathan: „Ich habe gesündigt.“ 4 Unmittelbar darauf hört er, wie der Prophet ihn tröstet: „Der Herr hat deine Sünde von dir genommen.“ 5 Er hatte einen Ehebruch begangen und dazu noch einen Mord, aber mit tränengefüllten Augen betet er: „Erbarme Dich meiner, o Gott, nach Deiner großen Barmherzigkeit, und nach der Menge Deiner Erbarmungen tilge meine Missetaten!“ 6 Die große Sünde bedurfte großer Erbarmung. Deshalb fügt er hinzu: „Wasche mehr und mehr meine Bosheit ab von mir und von meiner Sünde reinige mich! Denn ich bekenne mich zu meiner Missetat, und meine Sünde steht allezeit gegen mich. Vor Dir allein habe ich gesündigt“ — denn einen anderen fürchtete der König nicht — „und Böses habe ich vor Dir getan, damit Du gerecht erfunden werdest in Deinen Worten und siegreich bestehst, wenn man Dein Verhalten richtet. 7 Denn Gott hat alles unter der Sünde einbeschlossen, um sich aller zu erbarmen.“ 8 David machte solche Fortschritte in der Buße, daß er, der noch eben ein Sünder und Büßer war, zum Lehrer wird, wenn er spricht: „Ich will die Ungerechten Deine Wege lehren, und die Sünder werden sich zu Dir bekehren.“ 9 Denn Bekenntnis und Schönheit sind vor ihm, 10 so daß derjenige, der seine Sünden bekennt und spricht: „Meine Wunden haben sich angefüllt mit Fäulnis und Eiter infolge meiner Torheit“, 11 gegen die häßlichen Wunden Gesundheit und Schönheit eintauscht. „Wer aber seine Sünde verbirgt, dem wird es nicht gut gehen.“ 12 Der gottlose König Achab setzte sich durch einen Mord in den Besitz von Naboths Weinberg. 13 Samt Jezabel, mit der ihn mehr die gleiche grausame Gesinnung als das Band der Ehe einte, wies ihn der Prophet Elias zurecht mit den Worten: „So spricht der Herr: Du hast getötet und S. 357 fremdes Eigentum in Besitz genommen. An der Stelle, an welcher die Hunde Naboths Blut geleckt haben, werden sie auch dein Blut auflecken. Jezabel aber werden die Hunde fressen vor den Mauern Jezraels.“ 14 Als Achab dies hörte, zerriß er seine Kleider, legte ein Bußgewand an, fastete und schlief im Bußgewande. Und es erging das Wort des Herrn an Elias: „Weil Achab sich vor mir gefürchtet hat, so will ich das Unheil nicht in seinen Tagen hereinbrechen lassen.“ 15 Achab und Jezabel haben ein und dieselbe Meintat begangen. Aber als Achab sich der Buße zuwandte, wurde das Unglück auf spätere Zeiten verschoben. Über Jezabel aber, die in der Bosheit verharrte, sollte das Gericht alsbald hereinbrechen. Im Evangelium spricht der Herr: „Die Männer von Ninive werden am Tage des Gerichtes auferstehen mit diesem Geschlechte und es verdammen, weil sie Buße taten auf die Predigt von Jonas hin. 16 Denn ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zur Buße zu berufen, sondern die Sünder.“ 17 Die Drachme geht verloren, aber sie findet sich im Kehricht wieder. 18 Neunundneunzig Schafe läßt man in der Wüste zurück, aber das eine Schaf, das sich verirrt hat, wird auf den Schultern des Hirten zurückgetragen. 19 Daher herrscht auch Freude bei den Engeln über einen Sünder, der Buße tut. 20 Was für ein Glück, daß sogar die Bewohner des Himmels sich über unsere Rettung freuen! Auf sie geht das Wort: „Tuet Buße; denn das Himmelreich hat sich genaht.“ 21 Es gibt kein Mittelding zwischen Tod und Leben. Beide stehen in schroffem Gegensatz zueinander, und dennoch werden sie miteinander verbunden durch die Buße. Der verschwenderische Sohn hatte sein ganzes Vermögen durchgebracht, und fern von seinem Vater kann er kaum seinen Hunger stillen mit der für die Schweine bestimmten Kost. Doch er kehrt zu seinem S. 358 Vater zurück. Ihm zu Ehren wird das Mastkalb geschlachtet. Er erhält ein Gewand und einen Ring, damit er das Kleid Christi wiedererlange, 22 das er einst besudelte, und die Worte vernehme: „Deine Kleider seien stets weiß.“ 23 Nachdem er das göttliche Siegel wiedererlangt hat, soll er zum Herrn rufen: „Vater, ich habe gesündigt vor dem Himmel und vor Dir.“ Durch den Kuß des Vaters wieder ausgesöhnt, 24 soll er zu diesem sprechen: „Das Licht Deines Angesichtes ist über uns gezeichnet, o Herr.“ 25 Die Gerechtigkeit wird den Gerechten nicht retten an dem Tage, an dem er sündigt, und die Gottlosigkeit wird dem Gottlosen nicht schaden an dem Tage, an dem er sich bekehrt. 26 Der Herr richtet einen jeden so, wie er ihn vorfindet. Er schaut nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Gegenwart, vorausgesetzt, daß wir den alten Sünden durch eine neue Bekehrung entsagt haben. Siebenmal fällt der Gerechte und stehet wieder auf. 27 Wenn er fällt, wie kann er dann gerecht sein, und wenn er gerecht ist, wie kann er dann fallen? Der Anspruch auf die Bezeichnung gerecht geht eben nicht verloren, wenn man sich immer wieder durch die Buße aufrichtet. Und nicht nur dem, der siebenmal, selbst dem, der siebenzigmal siebenmal fehlt, werden die Sünden vergeben, 28 wenn er sich hin zur Buße wendet. Wem mehr vergeben wird, der liebt auch mehr. 29 Die Buhlerin wäscht mit ihren Tränen die Füße des Heilandes und trocknet sie mit ihrem Haar. 30 Darum vernimmt sie als Vorbild der aus der Heidenwelt entstandenen Kirche die Worte: „Deine Sünden sind dir vergeben.“ 31 Des Pharisäers Gerechtigkeit kommt im Stolze um, aber des Zöllners Demut und reumütiges Bekenntnis bringt Rettung. 32 Gott bezeugt durch den Propheten Jeremias: „Schließlich werde S. 359 ich gegen ein Volk und ein Reich reden, um es zu verderben, zu vernichten und zu zerstreuen. Wenn aber dieses Volk Buße tut über seine Bosheit, derentwegen ich gegen dasselbe gesprochen habe, dann wird auch mich das Böse reuen, das ich ihm antun wollte. Und wenn ich schließlich von einem Volke und von einem Reiche rede, um es aufzubauen und zu Wohlstand zu bringen, dann bereue ich das Gute, das ich ihm zugedacht habe, wenn es Böses tut in meinen Augen und nicht auf meine Stimme hört.“ 33 Sofort geht es weiter: „Siehe, ich plane gegen euch Böses und sinne wider euch Verderben. Darum kehre jeder zurück von seinem bösen Wege! Richtet zurecht eure Wege und eure Absichten! Da sprachen sie: Wir haben die Hoffnung aufgegeben. Wir wollen nach unseren Gedanken wandeln. Ein jeglicher will handeln nach der Bosheit seines verkehrten Herzens.“ 34 Der gerechte Simeon sagt im Evangelium: „Siehe, dieser ist gesetzt zum Falle und zur Auferstehung vieler.“ 35 Natürlich zum Falle für die Sünder und zur Auferstehung derer, die Buße tun. Der Apostel schreibt an die Korinther: „Man hört von Unzucht unter euch, und zwar von einer solchen Unzucht, wie sie selbst unter Heiden nicht vorkommt, hat doch jemand die Frau seines Vaters. Und ihr seid aufgeblasen, statt daß euch Trauer erfaßt und ihr den aus eurer Mitte entfernt, der eine solche Tat begangen hat.“ 36 Und im zweiten Briefe an die Korinther lesen wir: „Damit er, der in dieser Lage ist, nicht etwa durch allzu große Trauer zugrunde gehe.“ 37 Er ruft ihn zurück und beschwört sie, ihre Liebe gegen ihn zu verdoppeln, 38 damit er, der in der Blutschande ins Verderben geriet, durch die Buße gerettet werde. Denn niemand ist rein von Sünden, selbst wenn sein Leben nur einen Tag dauert. Nun sind aber zahlreich die Jahre seines Lebens. 39 Selbst die Sterne sind nicht rein in Gottes Augen, und an S. 360 seinen Engeln hat er Böses gefunden. 40 Wenn es also schon im Himmel Sünde gibt, wieviel mehr mag dies auf der Erde der Fall sein! Wenn die fehlen, bei denen eine fleischliche Versuchung nicht in Frage kommt, um wieviel eher werden wir fehlen, die wir mit gebrechlichem Fleische umgeben sind und mit dem Apostel sprechen müssen: „O ich Unglücksmensch! Wer wird mich befreien von diesem Todesleibe?“ 41 Denn nicht das Gute wohnt in unserem Fleische. Wir tun nicht, was wir wollen, sondern, was wir nicht wollen, so daß der Geist ein anderes wünscht, der Leib aber ein anderes zu tun sich gezwungen sieht. 42 Wenn trotzdem in der Hl. Schrift einige gerecht genannt werden, und zwar nicht nur schlechthin gerecht, sondern gerecht in den Augen Gottes, so kann es sich nur um jene eingeschränkte Gerechtigkeit handeln, an welche die bereits erwähnte Stelle denkt: „Der Gerechte fällt siebenmal und stehet wieder auf. 43 Die Ungerechtigkeit schadet dem Ungerechten nicht, sobald er sich von ihr bekehrt hat.“ 44 Schließlich hat auch Zacharias, des Johannes Vater, der gerecht genannt wird, darin gefehlt, daß er nicht glaubte, weshalb er auch plötzlich mit Stummheit geschlagen wurde. 45 Auch Job, der zu Beginn des nach ihm benannten Buches als gerecht, ohne Tadel und Makel hingestellt wird, erscheint später nach Gottes Wort und nach seinem eigenen Bekenntnisse als Sünder. 46 Wenn Abraham, Isaak und Jakob, wenn die Propheten und auch die Apostel keineswegs von Sünden rein waren, wenn also der reinste Weizen mit Spreu vermengt ist, was ist dann von uns zu sagen, von denen geschrieben steht: „Was soll das Stroh bei dem Weizen? spricht der Herr.“ 47 Und dennoch wird die Spreu für das zukünftige Feuer aufbewahrt ebenso wie das Unkraut, das zur Zeit S. 361 noch mit der Saat vermischt ist, 48 bis er kommt, der die Wurfschaufel in der Hand hat und seine Tenne reinigt, um den Weizen in seine Scheuer zu sammeln, den Abfall aber im höllischen Feuer zu verbrennen. 49
Klagel. 2, 18. ↩
Ps. 84, 11. ↩
Ebd. 50, 2. ↩
2 Kön. 12, 13. ↩
Ebd. ↩
Ps. 50, 3. ↩
Ebd. 50, 4 ff. ↩
Röm. 11, 32 und Gal. 3, 22. ↩
Ps. 50, 15. ↩
Ebd. 95, 6. ↩
Ebd. 37, 6. ↩
Sprichw. 28, 13. ↩
3 Kön. 21, 16. ↩
3 Kön. 21, 19. 23. ↩
Ebd. 21, 27 ff. ↩
Matth. 12, 41. ↩
Ebd. 9, 13. ↩
Luk. 15, 8 f. ↩
Ebd. 15, 4 f. ↩
Ebd. 15, 10. ↩
Matth. 3, 2. ↩
Luk. 15, 13. 16. 20. 22 f. ↩
Ekkle. 9, 8. ↩
Luk. 15, 21. 20. ↩
Ps. 4, 7. ↩
Ezech 33, 12. ↩
Sprichw. 24, 16. ↩
Matth. 18, 21 f. ↩
Luk. 7, 47. ↩
Ebd. 7, 37 f. ↩
Ebd. 7, 48. ↩
Ebd. 18, 10 ff. ↩
Jer. 18, 7 ff. ↩
Ebd. 18, 11 ff. ↩
Luk. 2, 34. ↩
1 Kor. 5, 1 f. ↩
2 Kor. 2, 7. ↩
Ebd. 2, 8. ↩
Job. 14, 4 f. (nach LXX). ↩
Job 25, 5; 4, 18 (nach LXX). ↩
Röm. 7, 24. ↩
Ebd. 7, 17 ff. ↩
Sprichw. 24, 16. ↩
Ezech. 33, 12. ↩
Luk. 1, 6. 18. 20. ↩
Job 1, 1; 40, 3; 42, 3. ↩
Jer. 23, 28. ↩
Matth. 3, 12; Luk. 3, 17; Matth. 13, 30. ↩
Matth. 3, 12; Luk. 3, 17. ↩
