[Vorwort]
Dieser Brief ist eine Kampfansage an das Agapetentum. Mancherorts hatte sich die Sitte herausgebildet, daß gottgeweihte Jungfrauen eine durch Keuschheitsgelübde gebundene männliche Person in ihren Haushalt aufnahmen, die ihr Vermögen verwaltete und ihre weltlichen Interessen vertrat. Da diese Unsitte nicht ohne Ärgernis bleiben konnte, wurde sie von Synoden (z.B. Nicäa) und hervorragenden Einzelpersonen wie Cyprian und Johannes Chrysostomus scharf angegriffen und verurteilt. Auch Hieronymus hatte sich bereits in seinem Briefe an Eustochium gegen diese Erscheinung gewandt. 1 Der vorliegende Brief, der keine Namen nennt, nimmt die alten Vorwürfe auf, 2 entbehrt aber der charakteristischen persönlichen Züge. Darum entstand schon zu Lebzeiten des Verfassers das Gerücht, es liege eine literarische Fiktion vor. 3 Der Brief habe keinen bestimmten Einzelfall zum Gegenstande, sondern sei eine generell gehaltene Anklage. In der Streitschrift gegen Vigilantius äußert er sich selbst zu dieser Behauptung. Doch glaubt Cavallera, 4 daß die Art, wie Hieronymus zu diesem Vorwurf Stellung nimmt, die Vermutung nicht als unrichtig erwiesen habe, was nicht recht einleuchten will. Vergleicht man die scharfe Sprache im Briefe an Eustochium mit der schonenden Behandlung des gleichen Gegenstandes in unserem Briefe, so sieht man, daß die Rücksicht auf bestimmte Persönlichkeiten, die er nicht unnötig verletzen wollte, dem Schreiber Zurückhaltung auferlegt.
Der Inhalt des Briefes ermöglicht es nicht, festzustellen, wann er verfaßt wurde. Er muß aber vor der Schrift gegen Vigilantius, wo er Erwähnung findet, also vor dem Jahre 406, geschrieben sein. S. 333
