[Vorwort]
Infolge der Schreckensherrschaft, die Romanus, der kaiserliche Comes, in Afrika ausübte, war es 372 zu einem Aufstande der Mauretanier und Numidier gekommen, den Firmus, ein Sohn des mauretanischen Königs Nubel, leitete. Nach dreijährigem Kampfe, den Theodosius im Auftrage Kaiser Valentinians führte, war Mauretanien unterworfen, und Firmus schied freiwillig aus dem Leben. Gildo, des Firmus Bruder, hatte den Römern die Treue in diesem Kriege bewahrt und war dafür vom Kaiser 386 zum Comes in Afrika ernannt worden. Nach dessen Tode erkannte er Theodosius an, suchte aber, sich selbständig zu machen. Später hielt er es mit Honorius, um aber bald zu Arkadius abzufallen. Diesen Schritt mißbilligte sein Bruder Mascezil, der in Honorius Auftrage gegen Gildo, welcher ebenfalls ein Willkürregiment führte, zu Felde zog. Mascezil behielt die Oberhand, und Gildo erdrosselte sich im Jahre 398 im Gefängnisse. Die Adressatin unseres Briefes ist Salvina, Gildos Tochter, die der Kaiser Theodosius, um dem Burgerkrieg in Afrika ein Ende zu bereiten, mit Nebridius, dem Neffen seiner frommen Gemahlin Aelia Flacilla, vermählt hatte. Bald nach diesen Ereignissen starb Nebridius in jugendlichem Alter und ließ Salvina mit zwei Kindern als S. 312 Witwe zurück. Auf Bitten eines gewissen Avitus 1 schrieb Hieronymus an die junge Witwe und ermahnte sie zur Wahrung der Witwenschaft. Einen breiten Raum im Briefe nimmt die Verherrlichung des Nebridius ein, die offensichtlich den Zweck hat, Salvina auf das Beispiel ihres frommen Gemahls hinzuweisen und sie zur Nachfolge anzuspornen.
Wenn auch der Brief ein Thema behandelt, das uns aus anderen Briefen geläufig ist, so verrät er doch den Meister des Stils, der in Anbetracht der eigenartigen Umstände dem Stoff eine ganz neue Note zu geben versteht, so daß ermüdende Wiederholungen ausgeschlossen S. 313 sind. Schrieb er doch an ein ihm persönlich unbekanntes Mitglied des kaiserlichen Hofes. 2
Da Gildos Schwester und Witwe bei Salvina wohnten, so ist der Brief nicht vor Gildos Tod, d.h. nicht vor 398, anzusetzen. Vallarsi will aber keinesfalls über das Jahr 401, in welchem sich Hieronymus mit dem hl. Johannes Chrysostomus wegen der origenistischen Frage überwarf, hinausgehen, da Salvina mit dem genannten Patriarchen eng befreundet war. Doch dürfte eine solche Festlegung zu gefühlsmäßig sein. Cavallera ist beizupflichten, wenn er das Jahr 403 als äußerste Grenze festsetzt. Eine Salvina, die zusammen mit der jungen Witwe Olympias der Kaiserin Eudoxia bei Verbannung des Patriarchen Johannes öffentlich zu trotzen wagte, bedurfte keiner Mahnung. Wenn er sich aber für die Jahre 400/1 ausspricht, weil die Trostschrift auf Nebridius zu Beginn des Nekrologs auf Fabiola 3 nicht angeführt ist, 4 so kann man ihm nicht folgen. Denn unser Brief ist Mahn- und nicht Trostbrief. Auch lokale Gründe mögen dafür ausschlaggebend gewesen sein, das nach Byzanz gerichtete Schreiben nicht zu erwähnen.
Avitus, den Hieronymus seinen Sohn nennt, muß, wie die knappe Erwähnung zeigt, eine Persönlichkeit gewesen sein, die zum kaiserlichen Hofe in engerer Beziehung stand und wenigstens für längere Zeit ihren Aufenthalt in Konstantinopel hatte; denn sonst wäre die Motivierung sinnlos. Dagegen ist es zweifelhaft, ob Avitus personengleich ist mit dem Empfänger der ep. 124. Dieser dürfte identisch sein mit dem Presbyter Avitus von Bracara (jetzt Braga in Portugal), welcher ein Freund und älterer Landsmann des Orosius war, der im Jahre 415 zu Bethlehem in engere Beziehung zu Hieronymus trat. Fest steht, daß Avitus von Bracara zusammen mit Orosius 415 in Jerusalem weilte und diesen 416 nicht in die Heimat zurückbegleitete. Es wäre also an sich ein dauernder Aufenthalt im Ostreich und damit auch ein längeres Verweilen in Byzanz nicht ausgeschlossen (vgl. zu Avitus von Bracara B. IV 533). Für Cavallera ist die Gleichsetzung unseres Avitus mit dem Empfänger der ep. 124 selbstverständlich (II 47). „Mein heiliger Sohn Avitus“ wird auch im Briefe an Sunja und Fretela (ep. 106, 2) erwähnt. Für ihn ist der Brief mitbestimmt, den der Priester Firmus an die beiden gelehrten Goten abgeben soll. Avitus und die Goten, die sich, aus der einfachen Namensnennung zu schließen, ebenfalls gekannt haben müssen, waren für Firmus auf der Rückreise zu erreichen. Da die Goten nun das Griechische beherrschen, was damals bei den gebildeten Römern eine Seltenheit war (vgl. Cav. I 7), so kann ihr Aufenthalt nur im Ostreich gewesen sein, wahrscheinlich in Konstantinopel, wo auch Avitus seinen Wohnsitz hatte, oder, in einem Kloster in der Nähe dieser Stadt. Leider ergibt sich hier nichts für die Frage: „Ist unser Avitus der gleichnamige spanische Priester?“ ↩
Auffallend ist die gehässige Beurteilung dieses Briefes durch Grützmacher (II 239 ff.). ↩
Ep. 77, 1 ad Oceanum (BKV XV 165 f.). ↩
Cav. II 46; I 184 f. Vgl. auch Pr. 60 f. ↩
