2.
Origenes soll ein Irrlehrer sein? Was kümmert das mich, der ich nie bestritt, daß er in manchen Punkten irrige Lehren vertritt? Falsch ist seine Lehre von der Auferstehung des Fleisches, vom Zustand der Seelen, von der Buße des Teufels. Was noch schlimmer ist, er bezeugt, daß unter den Seraphim der Sohn und der Heilige S. b118 Geist zu verstehen seien. 1 Würde ich leugnen, daß er geirrt hat, würde ich die falschen Auffassungen nicht täglich verurteilen, dann machte ich mich seiner Irrtümer mitschuldig. Wenn ich aber das Gute aus seinen Schriften annehme, dann liegt doch darin noch keine Anerkennung seiner falschen Behauptungen. Origenes hat die Heilige Schrift in weitem Umfange vortrefflich gedeutet und das über den Propheten lagernde Dunkel gelichtet. Vieles, was im Alten und im Neuen Testamente geheimnisvoll ist, hat er klargelegt. Wenn ich nun die wertvollen Teile übersetzt habe, dabei aber das Irrige wegließ, verbesserte oder stillschweigend überging, wie kann man mir dann einen Vorwurf daraus machen, daß ich den Lateinern das Gute in seinen Schriften vermittelte, ohne sie mit den irrigen Auffassungen bekanntzumachen? Wenn das schon ein Verbrechen ist, dann hat sich auch Hilarius zu diesem Verbrechen bekannt; denn er hat des Origenes Erklärung zu den Psalmen und die Homilien zum Buche Job aus dem Griechischen ins Lateinische übertragen. 2 Auch Eusebius von Vercelli hat sich dann der Irrlehren des Origenes schuldig gemacht; denn auch er hat den ganzen Psalmenkommentar dieses Häretikers in unsere Sprache übersetzt, 3 auch wenn er dabei die irrigen Stellen ausgelassen und nur das Wertvolle wiedergegeben hat. Andere, unter ihnen Viktorin von Pettau, die dem S. b119 Origenes zum mindesten in der Erklärung der Hl. Schrift gefolgt sind und dessen Auffassungen vertraten, will ich übergehen. 4 Du möchtest sonst meinen, ich wolle nicht so sehr mich verteidigen als vielmehr Genossen meines Verbrechens aufstöbern. Nun komme ich zu Dir selbst. Warum hast Du denn seine Traktate zum Buche Job für Dich abgeschrieben? In ihnen wendet er sich gegen den Teufel und spricht über Sterne und Himmel in Ausführungen, welche die Kirche zurückweist. Du mit Deinem Gelehrtenhirn hast scheinbar allein das Recht, über alle griechischen und lateinischen Schriftsteller zu Gericht zu sitzen? Du darfst wohl allein den Zensorstab führen, 5 um die einen aus den Bibliotheken auszumerzen, die anderen aber zuzulassen? Du darfst, wie es Dir gerade paßt, mich bald als Katholiken loben, bald als Häretiker verschreien? Mir hingegen soll es nicht erlaubt sein, falsche Ansichten abzulehnen und zu verurteilen, was ich so oft verurteilt habe. Lies meine Erklärung zum Epheserbrief, 6 lies meine übrigen Werke, besonders meine Erklärung zum Prediger. 7 Da kannst Du deutlich sehen, daß ich von Jugend an irrige und verkehrte Ansichten abgelehnt habe, ohne mich durch das Ansehen, das ein Verfasser genoß, davon abschrecken zu lassen.
Hieronymus übergeht hier die trinitarischen Heterodoxien, die ihm anscheinend noch nicht zum Bewußtsein gekommen waren. Er kennt Origenes nur aus seinen exegetischen Schriften, hat aber περὶ ἀρχῶν noch nicht durchgearbeitet. ↩
Der „tractatus super psalmos“, von dem beträchtliche Teile erhalten sind (M PL IX 231—908), ist ein selbständiger Kommentar, wenn auch Origenes viel benützt wird. Der „tractatus in Job“ ging zugrunde.(Vgl. B. II 659; III 372 ff.; ep. 84, 7 ad Pammachium et Oceanum). ↩
Eusebius von Vercelli († 370/71) übersetzte die Psalmenerklährung des Eusebius von Cäsarea. Die Übersetzung ist nicht erhalten (vgl. B. III 487). ↩
Victorinus von Pettau (Ende des 3. Jahrhunderts) schloß sich in seiner Exegese an Origenes an, war aber nicht bloßer Übersetzer (vgl. B. II 658 f.; ep. 84, 7 ad Pammachium et Oceanum). ↩
Quintilian, Instit. orat. I 4, 3. ↩
M PL XXVI 472 erwähnt Hieronymus nur, daß er Origenes teilweise benutzt hat. ↩
Auch hier wird Origenes nicht bekämpft. ↩
