Einleitung
Der vorliegende Brief machte sich zur gleichen Zeit und aus den gleichen Ursachen auf den Weg wie ep. 84 ad Pammachium et Oceanum. Nachdem sich Rufin mit seinem einstigen Jugendfreunde und späteren Gegner wieder ausgesöhnt hatte, war er aus Palästina nach Rom zurückgekehrt. Dort übersetzte er in der Fastenzeit des Jahres 398 die große Dogmatik des Origenes „περὶ ἀρχῶν“. Vorher hatte er bereits mit der Übertragung von Pamphilus’ Apologie des Origenes begonnen. 1 Rufin bezweckte, ohne daß man ihm den guten Glauben abzusprechen braucht, für Origenes Propaganda zu machen und ihn als Vertreter des kirchlichen Glaubens hinzustellen. Es war ihm klar, daß er in Rom mit diesem Versuche auf Schwierigkeiten stoßen würde, war doch Oceanus vor kurzem in Palästina gewesen, wo er hinreichend beobachten konnte, wie umstritten des Origenes Lehre war. Um Origenes auf alle Fälle für die S. b124 Orthodoxie zu retten, stellte er die Theorie der Fälschung seiner Werke durch übelwollende Gegner auf. In der Übersetzung hat Rufin das Anstößige vielfach getilgt, allerdings ohne irgendwie die Änderungen zu kennzeichnen. Da es ihm aber am kritischen Scharfblick und an theologischer Tiefe fehlte, so blieb noch genug des Heterodoxen stehen, das seine Gegner auf den Plan rufen konnte. In geschickter Weise suchte er sich zu sichern, indem er Hieronymus zu seinem Eideshelfer machte. Ob Hinterhältigkeit oder Naivität die Triebfeder waren, mag dahingestellt bleiben. In einem Vorwort zu seiner Übersetzung weist er darauf hin, wie bereits Hieronymus auf Wunsch des Papstes Damasus Schriften des Origenes übertragen und weitere Übersetzungen versprochen habe. In schmeichelhaften Tönen preist er des Hieronymus Übersetzungskunst, wobei er nicht vergißt, herauszustellen, daß auch er anstößige Stellen gereinigt hat. Er bedauert, daß Hieronymus durch andere Arbeiten an der Einlösung seines Versprechens verhindert sei, und spielt sich gleichsam als den Mann auf, der des Hieronymus Erbe antritt und fortführt. 2 Dieser ist also der eigentliche Inspirator seines Werkes und wird damit in den Strudel etwaiger böser Folgen mit hineingezogen. In Rom war man sich schließlich weder über Origenes noch über Hieronymus klar. Deshalb wandte sich der römische Freundeskreis, vertreten durch Oceanus und Pammachius, nach Bethlehem mit dem Ersuchen, zu Rufins Äußerungen Stellung zu nehmen. Zugteich übersandten sie Rufins Übersetzung samt dem Vorworte nach Bethlehem, nachdem diese auf nicht ganz einwandfreie Weise durch Eusebius von Cremona in ihre Hände gespielt worden war.
Hieronymus sah den Ruf seiner Rechtgläubigkeit bedroht und wollte um keinen Preis Rufins Werk decken. Er ist der Angegriffene und weiß sich frei von Schuld. Noch sucht er den Bruch mit Rufin aufzuhalten und antwortet seinen römischen Freunden verhältnismäßig sachlich und ruhig, ohne des Gegners Namen zu nennen. Seine Verteidigung gipfelt in den Sätzen, daß er stets S. b125 des Origenes Irrlehren abgelehnt habe, aber ihn als Mann von Geist und hervorragenden Erklärer der Hl. Schrift hochschätze. Gleichzeitig mit dem Briefe übersandte er auch seine Übersetzung der strittigen Schrift. Ihr Ziel, die des Rufin zu verdrängen, erreichte sie nicht; denn diese blieb erhalten, die genaue Wiedergabe aber ging unter.
Wie ernst es Hieronymus war, die Versöhnung mit Rufin nicht zu gefährden, zeigt unser Brief an Rufin. Formell ist er eine Antwort auf ein verlorengegangenes Schreiben Rufins, in dem dieser den Vorwurf erhebt, daß Hieronymus die neugeschlossene Freundschaft gefährdet habe; denn er habe die ablehnende Haltung seines römischen Anhanges gegen ihn verschuldet. Hieronymus weist einen solchen Vorwurf klar zurück und betont seinen guten Willen, den er auch in die Tat umgesetzt habe. Aber er mahnt nun von sich aus Rufin, in Zukunft vorsichtiger zu sein und ihn nicht mehr als Deckmantel zu mißbrauchen. Wenn Hieronymus geglaubt haben sollte, mit diesem Briefe den entstandenen Riß zu verkleistern, so täuschte er sich. Ein unseliges Geschick ließ das Schreiben erst in Rom ankommen, als Rufin bereits nach Aquileja abgereist war, wohin es die Freunde des Hieronymus nicht nachsandten. 3 So kam es, daß Rufin die versöhnliche Stimmung des hl. Hieronymus nicht zur Kenntnis nehmen konnte und in einem eigenen Werk, der Apologia contra Hieronymum, zu ep. 84 Stellung nahm. 4
Der Auftrieb der origenistischen Partei in Rom war von kurzer Dauer. Mit Papst Anastasius, 5 dem Nachfolger des Siricius (399), 6 der Rufin mehr oder weniger gewogen schien, war der Origenismus in Rom erledigt, nachdem man ihm auch im Orient den Todesstoß versetzt hatte.
S. b126 Geschrieben ist der Brief im Winter 398/99, 7 nachdem Hieronymus seine Übersetzung von „περὶ ἀρχῶν“ fertiggestellt hatte.
Vgl. S. 208 Anm. 1. ↩
Vgl. M PG XI 111 f. ↩
Apol. c. Ruf. I 12 (M PL XXIII 425). ↩
M PL XXI 541 ff. ↩
Papst Anastasius (399—401) verurteilte die Irrlehren des Origenes auf einer Synode zu Rom (400) und veranlaßte den Bischof Simplician von Mailand, ein Gleiches zu tun. Gegen Rufin ging der Papst nicht weiter vor, verhielt sich aber seiner Person gegenüber scharf ablehnend (Gr. III 60). ↩
Vgl. S. 103. ↩
Vgl. Gr. III 46 f. im Gegensatz zu Gr. I 82. 100; Pronberger (62 f.) erklärt sich für 399/400. ↩
