1.
Neulich las ich die Erklärungen des Bischofs Reticius von Autun, welcher einstmals vom Kaiser Konstantin S. b238 zur Zeit des Papstes Silvester 1 in Sachen der Donatisten 2 nach Rom geschickt worden war. Sie behandeln das Hohelied, welches die Hebräer „schir haschirim“ nennen. Dabei mußte ich mit Erstaunen feststellen, daß ein so beredter Mann eine Reihe von Stellen ganz sinnwidrig und albern erklärt hat. Außerdem verwechselte er Tharsis 3 mit der Stadt Tarsus, in welcher Paulus geboren ist. 4 Das Gold Ophaz 5 ist für ihn der Fels, weil auch Petrus im Evangelium Kephas genannt wird. 6 Das gleiche Wort konnte er übrigens auch beim Propheten Ezechiel finden, wo es von den vier Tieren heißt: „Und die Räder sahen aus wie der Stein von Tharsis.“ 7 Der Prophet Daniel sagt vom Herrn: „Und sein Leib war wie Tharsis“, 8 welches Wort Aquila mit Chrysolith und Symmachus mit Hyazinth wiedergibt. Und in den Psalmen lesen wir: „Im heftigen Sturme wirst du Tharsis Schiffe vernichten.“ 9 Auch unter den Steinen, welche zum hohenpriesterlichen Schmuck gehörten, auf welchen die Namen der zwölf Stämme eingegraben waren, findet sich der Name dieses S. b239 Steines. 10 Kurz gesagt, Tharsis ist ein Wort, das fast überall in der Schrift vorkommt. Was soll ich über Ophaz noch sagen, wo der eben erwähnte Prophet Daniel im dritten Jahre des Cyrus, des Königs der Perser, nachdem er drei Wochen in Fasten und Traurigkeit zugebracht hat, sagt: „Ich erhob meine Augen und schaute zu. Da erblickte ich einen Mann, angetan mit einem Gewande aus Linnen, und seine Lenden waren gegürtet mit dem Golde Ophaz.“ 11 Die Hebräer kennen nämlich mehrere Arten von Gold. Zur Unterscheidung steht hier Ophaz, damit man nicht an das Gold Zaab denkt, welches nach der Genesis zusammen mit dem Karfunkel vorkommt. 12
Es liegt eine Verwechslung vor. Die Synode zu Rom fand noch unter Papst Miltiades im Oktober 313 statt. Allerdings nahm Reticius auch an der Synode zu Arles teil (314), die unter Papst Silvester I. (314—335) gehalten wurde. ↩
„ob causam Montensium“. Die Donatisten wurden in Rom auch „Bergler“ genannt, weil sie zuerst ihre gottesdienstlichen Zusammenkünfte auf einem Berge in der Nähe der Stadt abhielten (vgl. Opt. v. Mileve II 4 — CSEL XXVI 39 [Ziwsa]; Hier., Chronik ed. Helm 239; Aug., Ep. 53, 2 CSEL XXXIV 154 [Goldbacher]; De haeres. 69 — M PL XLII 43). ↩
Hohel. 5, 14 (Hebr.). ↩
Apg. 21, 39. ↩
Hohel. 5, 11 (Hebr.). פָּז neben זָהָב ist ein Name für Gold. Die LXX schreiben an der Stelle „χρυσίον καιφάζ“; daher die Verwechslung mit Kephas. Unsere Vulgata setzt „auro obrigo“ d.h. aus sehr feinem Golde. ↩
Joh. 1, 42. ↩
Ezech. 10, 9 (Vulg.: „chrysolithus“ = Topas, LXX: „ἄνθραξ“ = Karfunkel, Rubin). ↩
Dan. 10, 6 (Hebr.). ↩
Ps. 47, 8. ↩
Exod. 28, 20 f.; 39, 13. ↩
Dan. 10, 1 ff. ↩
Gen. 2, 11 f. ↩
