2.
Dies alles ist, wie gesagt, das Land der Lebenden, in welchem den heiligen und sanftmütigen Männern die Güter des Herrn bereitgehalten werden, wie sie vor der Ankunft unseres Herrn und Erlösers im Fleische weder Abraham, Isaak und Jakob, noch die Propheten oder sonst ein Gerechter erlangen konnten. Denn die Schrift zeigt uns an verschiedenen Stellen Abraham zusammen mit Lazarus in der Unterwelt. 1 Jakob, ein gerechter Mann, spricht: „Trauernd und seufzend will ich zur Unterwelt hinabsteigen.“ 2 Der Schlüssel zum Paradiese ist das Blut Christi, der zum Schacher spricht: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.“ 3 Das also ist, um es nochmals zu wiederholen, das Land der Lebenden, das Land des Reichtums und der Güter Gottes, welche der erste Adam verloren und der zweite Adam wiederentdeckt hat. Oder richtiger: Das ist das Land, welches der erste Adam verloren, der zweite aber uns wieder zurückerstattet hat gemäß dem Worte des Apostels: „Der Tod herrschte von Adam bis auf Moses — darunter ist das Gesetz zu verstehen — als eine Strafe, ähnlich der Adams, der des zukünftigen Adam Vorbild ist.“ 4 Wollen wir noch genauer wissen, welches dieses Land ist, dann schlagen wir den Propheten Malachias auf, der schreibt: „Alle werden euch selig preisen, spricht der Herr; denn ihr werdet ein ersehntes Land sein.“ 5Sinngemäßer schreibt der griechische Text θελητὴ; 6 denn es ist das Land der Sehnsucht der Heiligen oder das Land des göttlichen Wohlgefallens. Die gleiche Auffassung findet sich bei Isaias, wo er schreibt: „Er wird ein Mann sein, der seine Worte verbirgt, und er wird im Lande Sion erscheinen wie ein vielgepriesener Fluß im ausgetrockneten Lande.“ 7 Was ist das für ein Land Sion, in dem S. b336 der vielgepriesene Fluß erscheinen wird? Es ist jenes Land, das David an einer anderen Stelle mit den Worten besingt: „Ruhmvoll wird von dir gesprochen, Stadt Gottes.“ 8 Und anderwärts: „Der Herr liebt die Tore Sions mehr als alle Zelte Jakobs.“ 9 Liebt der Herr etwa jene Tore, von denen wir heute sehen, daß sie in Staub und Asche zerfallen sind? Gewiß nicht. Davon braucht man nicht einmal törichte, geschweige denn kluge Menschen zu überzeugen. 10 Mir scheint auch hierher zu passen, was im 64. Psalm zu lesen steht: „Du hast das Land heimgesucht und mit Feuchtigkeit gesättigt; Du hast es angefüllt mit Reichtum aller Art. Gottes Strom ist voll des Wassers. Du hast ihnen Speise bereitet; denn alles hast Du entsprechend eingerichtet. Wässere seine Furchen, vermehre seine Erzeugnisse! An seinem Tau erquickt sich der Saatkeim.“ 11 Denn Gott besucht alltäglich dieses Land und bewässert es, so daß es allen Reichtums voll ist. Aus diesem Lande strömt der Fluß Gottes, von dem geschrieben steht: „Des Flusses Wogendrang erfreut die Stadt Gottes.“ 12 Von diesem Flusse erzählt auch der Prophet Ezechiel in mystischen Worten bei der Beschreibung des Tempels: „An seinen beiden Ufern stehen Bäume, die jeden Monat mit neuen Früchten reichlich beladen sind.“ 13 Von diesem Lande schreibt ferner der Weise in den Sprüchen: „Wer sein Land bebaut, wird Überfluß an Brot haben.“ 14 Sollte jemand glauben, unter dem Lande diese Erde verstehen zu müssen, die wir sehen, die dazu zumeist in den Händen der Sünder ist, von der die Schrift sagt: „Verflucht sei die Erde unter deiner Arbeit“, 15 dann möge er einmal klarmachen, wie der Satz: „Wer sein Land bebaut, wird Überfluß an Brot haben“, 16 bestehen kann. Denn wie S. b337 viele bearbeiten das Land und mühen sich mit der Pflugschar ab, und doch ist das Endergebnis bei den zahlreichen widrigen Umständen Notdurft und Mangel! Man beachte wohl, was die Schrift sagt: „Wer sein Land bebaut“, 17 das Land, das ihm zu eigen gehört, von dem man ihn niemals vertreiben kann. Im gleichen Sinne sind auch die Worte geschrieben: „Mit seinem eigenen Reichtum kauft der Mensch sein Leben los.“ 18 Auch diese Stelle gibt, wörtlich aufgefaßt, einen falschen Sinn. Denn wie viele kaufen sich los mit dem Gelde Fremder oder ihrer Freunde! Es sind die Apostel, welche dieses Land bebauen und bearbeiten, denen das Wort gilt: „Ihr seid das Salz der Erde. 19 In Geduld werdet ihr eure Seelen besitzen.“ 20 Einer aus ihnen, das Gefäß der Auserwählung, 21 spricht voller Vertrauen: „Wir sind Mitarbeiter Gottes, ihr aber seid Gottes Ackerland, Gottes Bau.“ 22 Noch manchen anderen Passus könnte ich hier anführen; aber ich will davon absehen, um nicht den Leser zu ermüden oder sein Gedächtnis zu überladen.
Luk. 16, 23 ff. ↩
Gen. 37, 35. ↩
Luk. 23, 43. ↩
Röm. 5, 14. ↩
Mal. 3, 12. ↩
„terra voluntaria“ — „γῆ θελητή“. ↩
Is. 32, 2 (nach LXX). ↩
Ps. 86, 3. ↩
Ebd. 86, 2. ↩
Hieronymus tadelt die Juden wegen ihrer buchstäblichen Auffassung. ↩
Ps. 64, 10 f. ↩
Ps. 45, 5. ↩
Ezech. 47, 12. ↩
Sprichw. 12, 11. ↩
Gen. 3, 17. ↩
Sprichw. 12, 11. ↩
Sprichw. 12, 11. ↩
Ebd. 13, 8. ↩
Matth. 5, 13. ↩
Luk. 21,19. ↩
Apg. 9, 15. ↩
1 Kor. 3, 9. ↩
