3.
Noch eines wollen wir, gestützt auf die Autorität der Hl. Schrift, eingehend darlegen. Die Heiligen sind nicht die Bewohner dieses Landes, welches die Juden für das Land der Verheißung halten, sondern die Nachbarn und Fremden. Aus dem Munde des Gerechten vernehmen wir: „Ich bin ein Zugereister und ein Fremdling wie alle meine Väter.“ 1 Nachdem er lange in der Finsternis dieses Landes geweilt hatte, seufzt er unter Tränen: „Wehe mir, weil meine Pilgerschaft sich so lange hinzog! Ich habe bei denen gewohnt, die in Cedar wohnen. Lange bin ich ein Fremdling gewesen.“ 2 Überall wo wir in der Hl. Schrift dem Ausdruck „Bewohner des Landes“ begegnen, wird man bei näherer Prüfung des Textes, sei es nun am Anfangen der Mitte oder gegen Ende, mit aller Klarheit bestätigt finden, daß der Ausdruck S. b338 „Bewohner des Landes“ stets soviel bedeutet wie Sünder. Einen Beleg hierfür bietet die Apokalypse des Johannes, wo wir lesen: „Wehe den Bewohnern des Landes!“ 3 Abraham ist der erste, an den die Verheißung des Herrn erging: „Dir und deinem Samen will ich dieses Land geben.“ 4 Aber nach der Rede des hl. Stephanus, des ersten christlichen Märtyrers, hat er nicht einmal einen Fuß breit dieses Landes besessen. Denn so steht geschrieben: „Dann verließ er das Land der Chaldäer und wohnte in Haran. Später, nach dem Tode seines Vaters, zog er in das Land, in welchem ihr jetzt wohnet. Aber er gab ihm darin keinen Besitz, nicht einmal einen Fuß breit, sondern er versprach, es ihm und seinen Nachkommen nach ihm zu geben.“ 5 Damit aber der Leser bei ruhigem Nachdenken nicht etwa zu der Auffassung komme, Gott habe den Kindern gegeben, was er dem Stammvater versagte, schreibt das Gefäß der Auserwählung 6 an die Hebräer: „Im Glauben gehorchte er, der den Namen Abraham erhielt, und zog an einen Ort, der sein Besitztum werden sollte. Und er zog fort, ohne zu wissen, wo das Ziel lag. Im Glauben ließ er sich im Lande der Verheißung nieder wie in einem fremden Lande. Er wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben der gleichen Verheißung. Denn er erwartete die auf festem Grunde ruhende Stadt, deren Bauherr und Schöpfer Gott ist.“ 7 Und nachdem er Abel und Henoch, Noe und Sara erwähnt, 8 fährt er fort: „Im Glauben sind diese alle gestorben, ohne daß sie der Verheißungen teilhaftig wurden. Sie schauten sie nur von ferne, begrüßten sie und bekannten, daß sie Zugereiste und Fremdlinge waren im Lande. Wer so spricht, tat damit kund, daß er ein Vaterland sucht. Hätten sie aber an das von ihnen verlassene Land gedacht, so hätten sie ja Zeit gehabt, dorthin zurückzukehren. Jetzt aber trachten sie nach einem besseren, S. b339 nach dem himmlischen.“ 9 Nachdem er in der Folge noch viele Heilige erwähnt, kommt er zum Abschluß mit den Worten: „Und diese alle, die durch den Glauben ein gutes Zeugnis hatten, haben die Verheißung nicht erlangt. Denn Gott hatte für uns etwas Besseres vorgesehen, damit sie nicht ohne uns vollendet würden. 10 Denn wir sind hinzugetreten zum Berge Sion und zur Stadt des lebendigen Gottes, zum himmlischen Jerusalem, zu den vielen Tausenden von Engeln, zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind.“ 11 Ich weiß wohl, daß der jüdische Unglaube diese Zeugnisse ablehnt, wenngleich sie sich auf die Autorität des Alten Testamentes stützen. Unseren Leuten muß ich sagen, daß der Brief an die Hebräer nicht nur von den Kirchen des Orients, sondern auch von allen alten kirchlichen Schriftstellern griechischer Zunge als paulinisch anerkannt wird, mögen ihn auch einige auf Barnabas oder Klemens zurückführen. Es kommt ja auch nicht darauf an, von wem er herrührt; es genügt zu wissen, daß er von einem Manne der Kirche stammt, daß täglich in den Kirchen daraus vorgelesen wird. Wenn er nach der lateinischen Praxis auch nicht unter die kanonischen Schriften gezählt wird, so steht dem gegenüber, daß mit der gleichen Freiheit die griechischen Kirchen die Apokalypse des Johannes ablehnen. Für mich sind beide Schriften kanonisch. In dieser Frage folge ich nicht der augenblicklichen Strömung, sondern der Autorität der alten Schriftsteller, die zu einem großen Teile von beiden Schriften weitgehend Gebrauch machen und sie wie kanonische und kirchlich anerkannte Schriften behandeln. Ganz im Gegensatz hierzu machen sie von den apokryphen Schriften nur vereinzelt Gebrauch, wie sie sich auch nur selten auf die heidnische Literatur in ihrer Beweisführung beziehen. 12
Ps. 38, 13. ↩
Ebd. 119, 5 f. ↩
Offenb. 8, 13. ↩
Gen. 13, 15. ↩
Apg. 7, 4 f. ↩
Ebd. 9, 15. ↩
Hebr. 11, 8 ff. ↩
Ebd. 11, 4. 5. 7. 11. ↩
Hebr. 11, 13 ff. ↩
Ebd. 11, 39 f. ↩
Ebd. 12, 22 f. ↩
Über Hieronymus und seine Einstellung zum Hebräerbrief bzw. zur Apokalypse s. Schade, Die Inspirationslehre des hl. Hieronymus. Freiburg 1910, 214 ff. ↩
