Fünfter Artikel. Die Gegenstände des Glaubens sind nicht Gegenstände des Wissens.
a) Dies scheint aber der Fall sein zu können.Denn: I. Was nicht gewußt wird, ist ungekannt. Unwissenheit nämlich steht dem Wissen gegenüber. Was aber Gegenstand des Glaubens ist, das ist nicht ungekannt; denn die Unwissenheit darin ist Ungläubigkeit, nach I.Tim. 1.: „Unwissend that ich es in Ungläubigkeit.“ Also was geglaubt wird, kann zugleich gewußt werden. II. Wissenschaft erlangt man durch Gründe. Die heiligen Autoren aber begründen das, was sie als zu glauben vorstellen. Also. III. „Der Beweis ist ein Syllogismus, der ein Wissen verursacht.“ Manches aber, was geglaubt wird, beweisen die Philosophen; wie z. B. daß Gott existiert, daß Gott ein einiger ist und Ähnliches. IV. Das Meinen ist vom Wissen weiter entfernt wie das Glauben, da letzteres in der Mitte liegt zwischen Wissen und Meinen. Meinen und Wissen aber kann den nämlichen Gegenstand haben. (1. Post. ult.) Also kann um so mehr der nämliche Gegenstand gewußt und geglaubt werden. Auf der anderen Seite sagt Gregor (hom. 26. in Evgl.): „Was offenbar erscheint, wird nicht geglaubt, sondern anerkannt.“ Worüber aber Glauben ist, das wird nicht anerkannt oder geschaut; sondern das, was gewußt wird. Also was gewußt wird, das wird nicht geglaubt.
b) Ich antworte, jegliches Wissen werde erlangt vermittelst einiger Principien, welche durch sich selbst bekannt und somit Gegenstand des Wissens sind; was also gewußt wird, das ist immer gewissermaßen geschaut. Es ist aber nicht möglich, daß das Nämliche vom Nämlichen geschaut sei und geglaubt wie oben nachgewiesen. Also kann auch nicht das Nämliche gewußt und geglaubt sein. Es kann jedoch der Fall sein, daß das, was der eine glaubt, der andere weiß. Denn was wir z. B. über die Dreieinigkeit glauben und was wir zu schauen hoffen, nach 1. Kor. 12., das schauen bereits die Engel. Und so kann es auch auf dem Pilgerwege vorkommen, daß das, was der eine Mensch bereits weiß, der andere glaubt, welcher davon keinen genügenden Beweis kennt. Was aber insgemein allen als zu glauben vorgestellt wird, das ist für niemanden Gegenstand des Wissens; und das sind Dinge, welche schlechthin und ohne weiteres Gegenstand des Glaubens sind. Glauben und Wissen also richten sich nicht auf das Gleiche.
c) 1. Die Ungläubigen sind in Unkenntnis rücksichtlich dessen, was zu glauben ist; weil sie dies weder schauen noch erkennen, daß es glaubenswert sei. Die Gläubigen aber haben davon Kenntnis; nicht als ob sie den Beweisgrund des zu Glaubenden wüßten, sondern sie erkennen, dies sei kraft des Glaubenslichtes zu glauben. II. Die Gründe, welche die Heiligen für die Glaubensgegenstände anführen, sind nicht streng beweisende, sondern offenbaren nur, es sei nicht unmöglich das was der Glaube vorstellt; oder sie gehen von den Principien des Glaubens aus, nämlich von der Autorität der heiligen Schrift, wie Dionysius zeigt. (2. de div. nom.) Vermittelst dieser Principien aber wird für die Gläubigen in ähnlicher Weise etwas bewiesen, wie aus den durch die natürliche Vernunft bekannten Principien etwas für alle insgemein bewiesen wird. Deshalb ist die Theologie ebenfalls eine Wissenschaft, wie I. Kap. 1, Art. 2 gezeigt worden. III. Was streng bewiesen werden kann, wird zu den Glaubenspunkten nicht deshalb gezählt, weil rücksichtlich dessen schlechthin bei allen Glauben wäre, sondern weil es eine Voraussetzung ist für den Glauben. Und so muß es von denen, welche den Beweis dafür nicht kennen, wenigstens durch den Glauben festgehalten werden. IV. „Von seiten verschiedener Menschen kann rücksichtlich des gleichen Punktes zugleich ein Meinen und ein Wissen bestehen“ (l. c.), wie dies oben auch gesagt worden für das Wissen und Glauben. Von seiten ein und derselben Person aber kann rücksichtlich ein und desselben Gegenstandes wohl ein Meinen und Wissen zugleich bestehen; jedoch dann nach verschiedenen Seiten hin, so daß nämlich jemand über ein und dieselbe Sache eine Eigentümlichkeit oder eine Beziehung bestimmt weiß und von einer anderen Eigentümlichkeit oder Beziehung nur ein Meinen hat. Und ahnlich kann rücksichtlich Gottes jemand wissen, daß Er ein einiger ist; und glauben, daß Er in drei Personen subsistiert. Schlechthin über Ein und dasselbe, d. h. unter ein und derselben Beziehung aber kann nicht zugleich ein Meinen bestehen und ein Wissen; oder Glauben und Wissen. Denn was das bloße Meinen betrifft, so ist es dem Wesen des Wissens entsprechend, daß man der Überzeugung ist, die Sache könne sich nicht anders verhalten; dem Wesen des Meinens jedoch ist es entsprechend, daß man annimmt, die Sache könne sich auch anders verhalten. Was aber den Glauben anbelangt, so ist das Geglaubte wohl auch mit zuverlässiger Gewißheit ausgestattet, jedoch ist da das Gewußte geschaut, das Geglaubte nicht geschaut.
