Achter Artikel. Die eben erwähnten Sünden kommen vom Geize.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Die Wollust ist hauptsächlich der Grund, daß die Vernunft der rechten Geradheit ermangelt. Solche Sünden aber stehen entgegen der rechten Mittelstraße, wie die Vernunft sie zeigt. Also kommen solche Sünden zumeist von der Wollust; wie auch Aristoteles (7 Ethic. 6.) sagt: „Die Venus ist verschlagen und ihre Fesseln sind mannigfach… vom Hinterhalte aus, mit listigen Anschlägen geht sie vor bei dem, der in der Begierlichkeit unenthaltsam ist.“ II. Die besagten Sünden haben eine gewisse Ähnlichkeit mit der Klugheit. Der Klugheit aber, da ihr Sitz die Vernunft ist, scheinen mehr ähnlich zu sein die geistigen Sünden, wie der Stolz und die eitle Ruhmbegier. Also entspringen dergleichen Sünden vielmehr dem Stolze wie dem Geize. III. Der Mensch bedient sich der Hinterlist, nicht bloß im Ansichreißen fremden Gutes, sondern auch wenn er anderen nach dem Leben trachtet, wovon das Erste zum Geize, das Zweite zum Zorne gehört. Hinterlist aber gebrauchen ist nichts Anderes wie Schlauheit, List, Betrug. Diese letzteren Sünden entspringen also ebensogut dem Zorne wie dem Geize. Auf der anderen Seite nennt Gregor (31. moral. 17.) den Trug ein Kind des Geizes.
b) Ich antworte; im Gebrauchen und Anwenden der Vernunft hat die Schlauheit und die Klugheit des Fleisches zusammen mit der List und dem Truge eine gewisse Ähnlichkeit mit der Klugheit. Vorzugsweise aber erscheint unter allen moralischen Tugenden in der Gerechtigkeit der rechte Gebrauch und die rechte Anwendung der Vernunft. Der ungebührliche Gebrauch der Vernunft also erscheint im höchsten Grade in den der Gerechtigkeit entgegengesetzten Sünden; und da dieser am meisten der Geiz entgegengesetzt ist, so entspringen diese Sünden zumal aus dem Geize.
c) I. Die Wollust zerstört auf Grund des sie begleitenden Ergötzens durchaus den Gebrauch der Vernunft, daß diese gar nicht thätig sei. In den vorbesagten Sünden aber ist wohl ein thatsächliches Anwenden der Vernunft, jedoch ein ungeregeltes. Nicht also unmittelbar aus der Wollust entstammen jene Sünden. Aristoteles aber spricht von einer „verschlagenen Venus“ gleichnisweise; insoweit die Wollust plötzlich in den Menschensich einschmeichelt, wie dies auch bei der List der Fall ist. Es geschieht dies aber nicht vermittelst der Schlauheit, sondern vermittelst der Gewalt des Ergötzens der Begierlichkeit, weshalb Aristoteles hinzufügt: „Die Venus stiehlt die Vernunft auch dessen, der sehr weise ist.“ II. Mit Hinterlist handeln erinnert an Kleinmut. Der hochherzige nämlich will in Allem offenbar sein, nach 4 Ethic. 3. Weil nun der Stolz eine gewisse Ähnlichkeit mit der Hochherzigkeit hat oder eine solche wenigstens zur Schau trägt; deshalb kommen diejenigen Sünden nicht unmittelbar vom Stolze, die sich der List und des Truges bedienen. Vielmehr ist ihre Quelle der Geiz, der nur den eigenen Nutzen sucht und sich aus dem Vorrange und der Anerkennung nichts macht. III. Der Zorn handelt plötzlich und ohne zu beraten; jene Sünden aber bedienen sich des Beratens, wenn auch ungeregelterweise. Daß man Hinterlist gebraucht, um jemanden ums Leben zu bringen, kommt mehr aus Haß wie aus Zorn. Denn der zornige will offen vor aller Welt schaden^, wie Aristoteles sagt. (2 Rhet. 4.)
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