Erster Artikel. Schwören will heißen Gott als Zeugen anrufen.
a) Dagegen spricht: I. Wer die heilige Schrift anführt, ruft Gott zum Zeugen an. Also würde jeder einen Eid leisten, der und so oft er Stellen aus der heiligen Schrift als Belege anführte. II. Wer jemanden als Zeugen einführt, giebt diesem nichts. Wer aber bei Gott schwört, giebt etwas Gott. Denn Matth. 5. heißt es: „Dem Herrn sollst du deine Eidschwüre leisten;“ und Augustin (28. de verb. apost. c. 6.) sagt: „Schwören heißt Gott die Ehre oder das Recht der Wahrheit geben.“ III. Etwas Anderes ist das Amt des Richters und etwas Anderes die Aufgabe eines Zeugen. Der Mensch ruft aber manchmal im Schwören den göttlichen Richterspruch an, nach Ps. 7.: „Wenn ich denen, die mir Übles thaten, Übles vergolten habe, will ich mit vollem Recht eitel und leer sein und hinfallen vor meinen Feinden.“ Schwören also heißt nicht: Gott zum Zeugen anrufen. Auf der anderen Seite sagt Augustin (l.
c): „Was heißt das: Schwören bei Gott? Nichts Anderes als: Gott ist Zeuge.“
b) Ich antworte, nach Hebr. 6. habe der Eidschwur den Zweck, etwas zu bekräftigen. Eine solche Bekräftigung aber geschieht im Bereiche des Wissens kraft der Vernunft, welche ausgeht von Grundsätzen, die an sich vermittelst der Natur selber bekannt und unfehlbar wahr sind. Besondere einzelne Thatfachen aber im Bereiche dessen, was sein oder nicht sein kam im Bereiche des Zufälligen also, können nicht auf diese Weise bekräftigt werden, daß ihre Kenntnis kraft Gründen und Schließen eine notwendig zuverlässige sei; — und deshalb pflegen solche Thatsachen durch Zeugen bestätig und gekräftigt zu werden. Das menschliche Zeugnis nun ist wegen zweierlei unzureichend: 1. wegen der Unzuverlässigkeit und des Mangels an Wahrheit; leicht nämlich fallen die Menschen in Lügen, nach Ps. 16.: „Ihr Mund hat Lüge gesprochen;“ — 2. wegen des Mangels an Kennntis; weder das Zukünftige, noch das Innere des Herzens, noch das Fernstehende erkennen die Menschen; und doch sprechen die Menschen davon und ist es heilsam für die menschlichen Angelegenheiten, darin die sichere Wahrheit zu wissen. Und deshalb war es notwendig, dafür zu Gottes Zeugnis seine Zuflucht zu nehmen, der weder lügen kann noch über etwas in Unkenntnis ist. Gott nun zum Zeugen dessen nehmen, was man behauptet, nennt man „schwören“; und es ist als Recht (jus, jurare) anerkannt, daß das, was man unter Anrufung des Zeugnisses Gott aussagt, für wahr gehalten wird. Nun ruft man das göttliche Zeugnis manchmal an für die Behauptung dessen, was vergangen oder gegenwärtig ist; und das ist „der behauptende Eid“ (juramentum assertorium); — zuweilen zur Kräftigung von etwas Zukünftigen; und das ist „der versprechende Eid“ (juramentum promissorium). Was aber wissenschaftlich bewiesen werden kann, das wird nicht beschworen; denn lächerlich wäre es, seine wissenschaftliche Ansicht mit Eidschwüren beweisen.
c) I. Etwas Anderes ist es, sich des bereits gegebenen Zeugnisses Gottes zu bedienen, wie dies bei der Anführung von Schriftstellen geschieht und etwas Anderes, das Zeugnis Gottes anzurufen als etwas zu Gebendes wie das beim Eide geschieht. II. Man giebt Gott etwas, wenn man schwört, indem man da erfüllt, was man beschworen hat; oder indem man durch das Schwören selber anerkennt, Gott kenne Alles. III. Man ruft jemanden zum Zeugen an, damit er die Wahrheit enthülle. Gott nun enthüllt die Wahrheit in doppelter Weise: 1. durch inneres Einsprechen oder durch die Enthüllung des Geschehenen, indem er offenbar macht, was verborgen war; — 2. durch Bestrafung dessen, der lügt; und in diesem Falle ist Er zugleich Zeuge und Richter, denn er bestraft den Lügner und macht so offenbar die Lüge. Und sonach giebt es eine zweifache Weise zu schwören: 1. durch einfaches Anrufen Gottes; z. B. „Gott ist mir Zeuge“ oder: „Vor Gott spreche ich“, oder: „Bei Gott“ (Aug. 1. de serm. Dom. in monte 17.); — 2. durch Verwünschung; wer nämlich jemand auf sich oder auf etwas ihm Gehöriges die Strafe Gottes herahruft, sich also oder etwas ihm Gehöriges verwünscht, wenn nicht wahr ist, was er sagt.
