Neunter Artikel. Eine Dispens vom Eidschwur ist statthaft.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Zum rein behauptenden oder assertorischen Eide ist ebensogut Wahrheit erfordert wie zum versprechenden, der auf die Zukunft sich richtet. Niemand aber kann beim rein behauptenden Eide dispensieren, daß jemand etwa gegen die Wahrheit schwören dürfe; also auch nicht beim versprechenden, daß er das nicht leiste, was er versprochen. II. Jener, dem der versprechende Eid geleistet wird, ist die am meisten interessierte Person; er kann aber nicht dispensieren, weil dies gegen die Ehrfurcht vor Gott wäre; — also kann dies noch weit weniger eine beliebige Andere Person. III. Beim Gelübde kann jeder Bischof dispensieren, ausgenommen die größeren Gelübde, welche dem Papste vorbehalten sind. Wäre also überhaupt beim Eidschwure zu dispensieren, so könnte dies jeder Bischof; was gegen das Kirchenrecht zu sein scheint. (Cap. Auctoritatem et sq.; 15 Qq. 16. et cap. Si vero„ de jurejurando.) Auf der anderen Seite schließt das Gelübde eine größere Verpflichtung ein wie der Eid; und doch kann darin dispensiert werden.
b) Ich antworte, die Notwendigkeit zu dispensieren, sei es von einem Gesetze sei es von einem Gelübde, komme daher, daß etwas an sich oder im allgemeinen betrachtet gut sein kann, was für einen besonderen eintretenden Fall schädlich und unerlaubt ist. Da aber das Unerlaubte und Schädliche auch nicht unter einen Eidschwur fallen kann; ist doch das Erste entgegen der Gerechtigkeit, das Zweite entgegen dem gesunden Urteile; — so kann auch von einem Eide dispensiert werden.
c) I. Die Dispens von einem Eide will nicht sagen, daß nun etwas gegen das Beschworene gethan werden kann; — das ist unmöglich; denn die Beobachtung des Eides ist ein göttliches Gesetz, von dem niemand zu dispensieren vermag. Vielmehr besagt die Dispens vom Eide nur, daß ein besonderer Fall unter den geschworenen Eid nicht fällt, also keine Materie desselben bildet. Die Materie des behauptenden oder assertorischen Eides aber, also das Vergangene oder Gegenwärtige, ist bereits gewissermaßen unverrückbar; also würde da die Dispens nicht mehr auf den Gegenstand oder die Materie des Eides fallen, wo bereits Notwendigkeit herrscht, sondern auf den Akt des Eides selber; — und somit würde eine diesbezügliche Dispens direkt gegen das göttliche Gebot sein. Dagegen ist der Gegenstand eines versprechenden Eides etwas Zukünftiges, was also der Veränderung unterliegt; und da kann es ganz wohl vorkommen, daß ein solcher Gegenstand vermöge besonderer Umstände als etwas Unerlaubtes oder Schädliches dastehe und somit mit einem Eide nicht mehr bekräftigt zu werden vermag. In einem versprechenden Eide also betrifft die Dispens den Gegenstand oder die Materie des Eides und kann sie somit statthaben; denn sie steht nicht im Gegensatze zum göttlichen Gesetze über die Beobachtung des Eides. II. Der Mensch kann einem anderen unter Eid versprechen: 1. entweder das, was zu dessen Nutzen dient, wie eine Summe Geldes; und von solchem Eide kann dieser andere entbinden, insofern er damit erklärt, es sei dies ebensogut, wie wenn er das Geld erhalten hätte; — 2. oder das, was zur Ehre Gottes dient oder zum Nutzen anderer, wie wenn jemand dem anderen unter Eid verspricht, er werde in einen Orden treten oder ein gutes Werk thun; und dann kann derjenige, dem dieses Versprechen geleistet worden ist, nicht davon dispensieren, denn es handelt sich um Gottes Ehre; — es müßte denn eine diesbezügliche Bedingung in das eidliche Versprechen eingeschlossen worden sein, daß nämlich seine Erfüllung abhängt vom Befinden dessen, dem versprochen worden ist. III. Manchmal ist das unter Eid Versprochene an sich der Gerechtigkeit zuwider; und da ist der betreffende gehalten, den Eid nicht zu beobachten. Manchmal ist das so Versprochene ein Hindernis für ein größeres Gut, wie z. B. für den Eintritt in den Ordensstand; und da ist es erlaubt, denEid zu halten, oder auch, ihn nicht zu halten. Manchmal ist es zweifelhaft ob der Gegenstand des Eides überhaupt oder doch für einen besonderen Fall erlaubt oder unerlaubt sei; und da kann der Bischof dispensieren. Manchmal endlich ist das eidlich Versprochene offenbar erlaubt und nützlich; und da scheint eine Dispens nicht statthaben zu können, es sei denn daß etwas Besseres und dem Nutzen des ganzen Gemeinwesens Zuträglicheres, entgegentrete, was zu entscheiden dem Papste als dem Hüter des Gemeinbesten überlassen ist. Sodann kann der Papst zudem in Allem und schlechthin den Eid lösen, soweit dies die Verwaltung der kirchlichen Dinge und Gesetze betrifft, worüber er die Vollgewalt besitzt; wie jeder Vorgesetzte den Eid für ungültig erklären kann, den sein untergebener in dem, wo er seiner Gewalt untersteht, gemacht hat: der Vater z. B. den Eid seiner Tochter, der Mann den seiner Frau, nach Num. 30. (Vgl. oben Kap. 88, Art. 8 u. 9.)
