Fünfter Artikel. Der Gehorsam gehört zum Wesen der Vollkommenheit des Ordensstandes.
a) Dem steht entgegen Folgendes: I. Alle sind verpflichtet, den Vorgesetzten zu gehorchen, nach Hebr. ult.: „Gehorchet eueren Vorgesetzten und seid ihnen Unterthan.“ Also ist dies keine besondere über die allgemeinen Pflichten hinausgehende Vollkommenheit des Ordensstandes. II. Gehorchen scheint vorzugsweise jene anzugehen, die durch fremdes Meinen geleitet werden müssen. Dies sind aber urteilslose; wogegen Paulus sagt (Hebr. 5.): „Den vollkommenen kommt feste Speise zu, die geübt sind durch lange Erfahrung zu urteilen über das Gute und Böse.“ Also gehört der Gehorsam nicht in den Stand der Vollkommenheit. III. Nicht für jeden Orden wird der Gehorsam verlangt. Denn weder die Einsiedler sind im Stande des Gehorsams und gehören doch zum Ordensstande; noch die Oberen, da diese beiden Arten von Ordenspersonen keinen Oberen haben. Also gehört nicht schlechthin der Gehorsam zum Leben der Ordensvollkommenheit. IV. Wäre das Gelübde des Gehorsams schlechthin zum Ordensstande notwendig, so müßten die Ordensleute ihren Oberen in Allem gehorchen, wie ja auch das Gelübde der Keuschheit dazu verpflichtet, aller geschlechtlichen Freude sich zu enthalten. Das ist aber nicht der Fall, wie oben Kap. 104, Art. 5 festgestellt worden. V. „Nicht aus Trauer oder aus Notwendigkeit sollen wir Gott dienen,“ nach 2. Kor. 9. Was aber aus Gehorsam gethan wird, das geschieht nicht aus freiem Entschluß, nicht gern; sondern aus Notwendigkeit. Also Gott angenehmer sind die Werke, die jemand gern, aus freien Stücken macht; und somit ist mit dem Gegenteil keine Vollkommenheit verbunden. Auf der anderen Seite besteht die christliche Vollkommenheit zumal in der Nachfolge Christi, nach Matth. 19, 20.: „Wenn du willst vollkommen sein… folge mir.“ In Christo aber wird der Gehorsam hervorgehoben, nach Phil. 2.: „Er ward gehorsam bis zum Tode.“
b) Ich antworte, der Ordensstand soll ein Weg oder eine Übung sein, um zur Vollkommenheit zu gelangen. Die sich aber üben oder die einen unbekannten Weg gehen, müssen der Leitung jemandes folgen, wie der Schüler dem Lehrer. Also müssen die Ordensleute im Bereiche des Ordenslebens der Leitung und Belehrung jemandes unterstehen: „Das Mönchsleben,“ so 7 Qq. 1. cap. Nequaquam „wird im Worte Unterwürfigkeit, Gelehrigkeit ausgedrückt.“ Also gehört der Gehorsam wesentlich zum Ordensstande.
c) I. Im Bereiche dessen, was zur Tugend notwendig gehört, dem Vorgesetzten gehorchen, ist allgemeine Pflicht; nicht aber das Gehorchen in dem, was zur Übung der Vollkommenheit gehört. Dieser letztere Gehorsam steht im selben Verhältnisse zum ersteren, wie das Allgemeine zum Besonderen oder Beschränkten. Denn die Weltleute behalten etwas für sich und etwas schenken sie Gott; und danach gehorchen sie den Vorgesetzten. Die Ordensleute geben sich und das Ihrige ganz und gar, also in allumfassender Weise Gott hin. II. Nach 2 Ethic. 1. „gelangen die Menschen dadurch, daß sie sich üben, zu gewissen Zuständen; und haben sie diese erlangt, so können sie diese selben Thätigkeiten noch besser und leichter vollbringen.“ So kommen also jene, welche noch nicht vollkommen sind, durch den Gehorsam zur Vollkommenheit; und haben sie diese erlangt, so gehorchen sie um so leichter und bereitwilliger; — nicht als ob sie noch bedürften, durch andere zur Erreichung der Vollkommenheit hingeleitet zu werden, sondern sie halten sich dann durch den Gehorsam selber fest in dem, was der Vollkommenheit entspricht. III. „Die Stufe der Mönche soll den vollendenden Kräften der Bischöfe untergeben sein und durch das diesen von Gott zukommende Licht belehrt werden,“ sagt Dionysius. (6. de eccl. hier.) Vom Gehorsam nun gegenüber den Bischöfen oder, sind sie da exempt, gegenüber dem Papste sind weder die Einsiedler noch die Ordensoberen entbunden; und zwar weder in den allen Gläubigen gemeinsamen Dingen noch in den eigentlichen Ordensangelegenheiten. IV. Das Gelübde des Gehorsams im Orden erstreckt sich auf Alles im menschlichen Leben und danach schließt es eine gewisse Allgemeinheit in sich ein. Freilich sind davon jene Thätigkeiten ausgenommen, welche keine Beziehung haben auf die Gottes- und Nächstenliebe und somit auch nicht zum Ordensleben; wie z. B. das Zupfen am Barte, das Aufheben eines Strohhalmes von der Erde und Ähnliches, was weder unter den Gehorsam noch überhaupt unter ein Gelübde fällt. Es ist da keine Ähnlichkeit mit dem Gelübde der ewigen Keuschheit, welches alle der Ordensvollkommenheit zuwiderseienden betreffenden Thätigkeiten ohne Ausnahme ausschließt. V. Der Zwang und somit die daraus hervorgehende Notwendigkeit macht Unfreiwilligkeit und schließt demnach Lob oder Verdienst aus. Die Notwendigkeit aber, welche dem Gehorsam folgt, steht der Freiheit nicht entgegen; denn der Mensch will gehorchen, wenn auch manchmal der Gegenstand selber, welcher geboten wird, nicht ganz dem Willen des handelnden entspricht. Weil also der Mensch das selbst, was an sich betrachtet mißfällt, aus Gehorsam gegen Gott thut; deshalb ist das Geringste, was im Gehorsam gethan wird, Gott dadurch eben angenehmer. Denn nichts Größeres kann der Mensch Gott geben, als daß er seinen eigenen Willen um Gottes willen dem Willen eines anderen unterwirft. Deshalb heißt es coll. 18, cap. 7.: „Die schlechteste Art Mönche sind die Sabaiten, weil sie vom Joche der Ältesten befreit nur für ihre Bedürfnisse sorgen und die Freiheit haben, zu thun was sie wollen; und das sage ich, trotzdem sie Tag und Nacht sich abmühen, mehr als jene, die in Klöstern unter einem Oberen vereinigt zusammenleben.“
