Erster Artikel. Der Ordensstand ist wesentlich ein Stand der Vollkommenheit.
a) Dem steht entgegen Folgendes: I. „Orden“ will sagen ordo d. h. Ordnung oder Beziehung zu Gott hin; dasselbe also, was die Tugend der „Religion“ — relgiio — besagt, „durch welche wir,“ nach Augustin (de vera Relig. c. ult.) „mit Gott verbunden werden, uni omnipotenti Deo religamur. Dies gehört nun notwendigerweise zum Heile, der Stand der Vollkommenheit aber nicht. Also will der Ordensstand nicht einen Stand der Vollkommenheit besagen. II. „Die Religion ist es,“ nach Cicero (2. de lnv.), „welche der göttlichen Natur Verehrung und heilige Gebräuche darbringt.“ Das aber gehört vielmehr den heiligen Weihen an, die eben deshalb ja „ordines“, also „Orden“ genannt werden, wie einem davon verschiedenen Stande, Also bezeichnet der Ordens- oder Religiosenstand nicht einen Stand der Vollkommenheit. III. Der Stand der Vollkommenheit unterscheidet sich vom Stande der anfangenden und fortschreitenden. Im Ordensstande aber giebt es auch Anfänger und fortschreitende. IV. Der Ordensstand scheint zusammenzufallen mit dem Stande der Büßer. Denn in den Dekreten 7 Qq. 1. cap. Hoc nequaquam heißt es: „Die heilige Synode schreibt vor, daß wer von der bischöflichen Würde hinabgestiegen ist zum Mönchsleben und zur Stätte der Buße, niemals wieder zur Leitung eines Bistums berufen werden solle.“ Der Büßerstand aber steht im Gegensatze zum Stande der Vollkommenheit, nach Dionystus, der (6. de coel. hier.) den Büßern die tiefste Stelle zuweist, nämlich unter den zu reinigenden. Auf der anderen Seite sagt der Abt Moses in den collat. Patrum (col. l. c. 7.) von den Religiosen oder Ordensleuten: „Fasten, Nachtwachen, körperliche Arbeiten, Entblößung, heilige Lesungen und die übrigen Tugenden müssen Gegenstände unserer Übung sein, damit wir auf diesen Stufen zur Vollkommenheit emporsteigen können.“ Die menschlichen Thätigkeiten aber empfangen ihren Wesenscharakter vom Zwecke her. Also sind die Ordensleute dem Stande der Vollkommenheit zugehörig. Damit stimmt auch Dionysius überein, der da (6. de coel. hier.) sagt, „jene, welche man Diener Gottes nennt, seien auf Grund des reinen Dienstes und der Verehrung Gottes geeinigt zur Vollkommenheit der Liebe hin.“
b) Ich antworte, oft werde ein Name, der an sich betrachtet für vielerlei gebraucht wird, soweit es auf eine hervorragende Bezeichnung ankommt, einem einzigen Dinge gegeben. So beansprucht jene Tugend den Namen „Stärke“ in hervorragender Weise, welche in den schwierigsten Dingen den Geist in seiner Festigkeit bewahrt; und „Mäßigkeit“ heißt jene Tugend in besonderem Sinne, welche den höchsten Ergötzungen als Zügel dient. Die „Religion“ aber ist eine Tugend, welche etwas zu Gottes Dienst und zu seiner Verehrung darbringt. Jene also werden in besonderem Sinne „Religiosen“ genannt, die sich ganz und gar, mit ihrer ganzen Person, dem Dienste Gottes darbringen, oder „Ordensleute“, weil die Beziehung zu Gott hin in besonders geordneter Weise sie heiligt und durchdringt. Deshalb sagt Gregor (20. in Ezech.): „Es giebt deren, die für sich nichts Zurückbehalten; sondern Sinn, Zunge, Leben, Alles, was sie sind und haben, dem allmächtigen Gotte darbringen.“ Darin aber besteht die Vollkommenheit des Menschen, daß er ganz Gott anhänge; und demgemäß schließt der Stand der Religiösen oder der Ordensstand den Stand der Vollkommenheit in sich ein. (Vgl. Kap. 184, Art. 2.)
c) I. Etwas Einzelnes Gott als Zeichen der Ehrfurcht darbringen ist zum Heile notwendig; sich selbst aber ganz dem göttlichen Dienste weihen, ist Vollkommenheit. II. Nicht allein die Opfer und heiligen Gebräuche und Ähnliches gehören zur Tugend der Religion oder Gottesverehrung (vgl. Kap. 81, Art. 1 ad IV.), sondern alle Tugendthätigkeit, soweit sie auf Gottes Dienst und Gottes Ehre bezogen wird. Bringt also jemand sich und sein ganzes Leben Gott dar, so gehört sein ganzes Leben zur Tugend der Religion oder zur nächsten Beziehung auf Gott; und danach werden die „Religiosen“ so genannt auf Grund des religiösen Lebens, das sie führen, und sind sie in dieser Weise im Stande der Vollkommenheit. III. Der Zweck, den man erreichen will, bildet den Grund für den Namen. Also braucht gerade nicht jeder vollkommen zu sein, der im Orden ist; aber er muß nach der Vollkommenheit streben. Deshalb sagt zu Matth. 19. (si vis perfectus) Origenes (8. in Matth.): „Wer auf seinen Reichtum verzichtet und arm wird, damit er vollkommen sei, der ist nicht allsobald zur Zeit daß er dies thut ganz und gar vollkommen; aber von dieser Zeit an wird die Betrachtung Gottes ihn zu allen Tugenden führen.“ Und so sind auch im Ordensstande Anfänger. IV. Zu allererst sind im Ordensstande Übungen, durch welche die Hindernisse für die Vollkommenheit entfernt werden und zwar für die vollkommene Liebe. Sind nun diese Hindernisse entfernt, so werden um so mehr die Ursachen der Sünden ausgeschlossen, durch welche alle Liebe verschwindet. Da also der Buße es angehört, die Ursachen der Sünden abzuschneiden, so ist der Ordensstand der geeignetste Stand für die Buße. Decret. 33 Hy. 2. cap. Admonere wird deshalb jemand, der seine Frau getötet hatte, ermahnt, er solle in ein Kloster gehen; das sei besser und leichter, als wenn er öffentliche Buße thun müßte.
