26.
Verachte aber nicht die göttliche Würde, wenn du ihn äußerlich erniedrigt und uns gleich erblickst. Unsertwillen ist er so erschienen, nicht seinetwegen. Bedenke, wie er mehr als alle andern in der Stunde erniedrigt war, als sie schrien: „Kreuzige, kreuzige ihn“1, und die Volksmenge zusammenströmte. Wie ein Missetäter, über den von der Obrigkeit das Urteil gefällt ist, vom ganzen Volke verabscheut und verachtet ist, so war der Herr in der Kreuzigungsstunde, da er als Mensch sterben wollte, von den Pharisäern verachtet. Welche Erniedrigung nahm er ferner auf sich, als sie ihm ins Angesicht spien, ihm eine Dornenkrone aufs Haupt setzten und ihm Backenstreiche gaben2! Denn es steht geschrieben: „Meinen Rücken gab ich denen hin, die mich geißelten, mein Angesicht wendete ich nicht ab von denen, die mich schimpflich anspien, und meine S. 228 Wangen nicht von denen, die mich schlugen“3. Wenn nun Gott solche Schmähungen und Leiden und solche Erniedrigung auf sich genommen, so wirst du, der du von Natur aus Kot (Staub) und sterblicher Natur bist, bei aller Erniedrigung es deinem Herrn in keiner Hinsicht gleich tun. Deinetwillen hat sich Gott erniedrigt. Und du willst dich deinetwegen (= zu deinem eigenen Besten) nicht erniedrigen, sondern bist stolz und aufgeblasen. Er kam, die Drangsale und die Lasten auf sich zu nehmen und dir seine „Ruhe zu gewähren“4. Und du willst keine Mühen ertragen und leiden, um auf diese Weise Heilung für deine Wunden erlangen zu können. Preis seiner Nachsicht und Geduld in Ewigkeit. Amen. 27. Homilie.
