32. Pachomius und die Mönche von Tabennä.
Tabennä heißt ein Ort in der Thebais, an dem Pachomius1 war, ein Mann, der den rechten Weg ging, so daß ihm die Gabe der Weissagung verliehen ward und Engel erschienen. Er war von überaus großer Nächstenliebe beseelt, vor allem zu den Brüdern. Als er einst in der Höhle saß, kam ein Engel und sagte: "Für dich selber hast du gesorgt und sitzest darum zwecklos in deiner Höhle. Geh' fort und vereinige alle jungen Mönche und wohne mit ihnen zusammen und gib ihnen eine Regel nach dem Muster, das ich dir überreichen will!" Und er gab ihm eine eherne Tafel, worauf geschrieben stand, wie folgt:
"Laß jedermann essen und trinken, soviel er nötig hat! Demgemäß gib auch jedem an Arbeit, was er tun kann! Hindere keinen weder am Essen noch am Fasten! Wer fähig ist mehr zu leisten, dem gebiete mehr zu leisten! Weniger jedoch denen, die schwächer sind oder sich strenger abtöten in Speise und Trank! Mache verschiedene Zellen in der Ansiedelung! In jeder Zelle sollen drei wohnen. Die Nahrung für alle soll in einem Hause bereitet werden. Schlafen sollen sie nicht liegend, sondern sich schräge Stühle fertigen, darüber Teppiche breiten und in sitzender Stellung schlafen. Zur Nachtzeit sollen sie linnene Mäntel haben und gegürtet sein. Jeder soll ein gegerbtes Ziegenfell tragen, das sie auch bei Tische nicht ablegen dürfen. Am Sabbat und am Tage des Herrn, wenn sie hingehen, um an den Geheimnissen teilzunehmen, sollen sie den Gürtel lösen, S. 382 das Ziegenfell ablegen und nur in der Kukulle gehen. Die Kukullen sollen ungefüttert sein, wie sie bei Kindern gebräuchlich sind; ein purpurfarbenes Kreuz soll darauf eingebrannt sein. Teile sie in vierundzwanzig Gruppen und jeder gib als Kennzeichen einen griechischen Buchstaben, angefangen vom Alpha, Beta, Gamma, Delta, Epsilon, und so weiter!"
Wenn sich in der zahlreichen Genossenschaft einer nach den andern erkundigen wollte, so sagte man: Wie geht es der Abteilung Alpha? oder: Wie geht es dem Zeta? oder: Grüße mir das Rho! je nach dem zugehörigen Buchstaben.
"Jenen, die einfältigen, lauteren Wesens sind, sollst du das Jota geben; den Mürrischen und Verschlossenen aber das Xi". Pachomius legte nun in dieser Weise jeder Abteilung einen Buchstaben bei gemäß Charakter, Willen und Wandel; doch wußten nur die geistig Gesinnten um die Bedeutung.
Auf der Tafel stand weiter geschrieben: "Kommt ein Gast aus einem anderen Kloster, wo man nicht dasselbe Zeichen führt, so darf er nicht essen und trinken mit diesen noch ihr Haus betreten, er wäre denn auf einer Reise begriffen."
Wer um Aufnahme nachsucht, den lassen sie drei Jahre lang die eigentlichen Klosterräume nicht betreten; erst dann, wenn er sich in harten Prüfungen bewährte, wird ihm der Zutritt gestattet.
"Während der Mahlzeit müssen sie das Haupt verhüllen, damit kein Bruder den andern essen sehe. Auch dürfen sie nicht reden noch anderswohin blicken als auf Tisch und Teller. Den ganzen Tag über müssen sie zwölf Gebete verrichten: zur Zeit, da man die Lichter anzündet, zwölf; um Mitternacht zwölf und zur neunten Stunde drei. Jedesmal, wenn eine Gruppe zu Tische kommt, muß vor dem Gebet ein Psalm gesungen werden."
Als Pachomius den Einwand erhob, die Zahl der Gebete sei zu klein, sagte der Engel: "So hab' ich sie festgesetzt, damit auch die Schwachen ohne Mißmut die Vorschrift befolgen können. Die Vollkommenen bedürfen keiner Vorschrift, denn sie widmen in ihren Zellen S. 383 das ganze Leben frommer Betrachtung. Ich gab diese Regel für solche, die weniger Einsicht besitzen, damit sie wenigstens wie Knechte mittels dieser Vorschrift in Ruhe leben können."
Solche Klöster, die nach diesem Vorbilde geordnet sind, gibt es ziemlich viele. Sie bergen an siebentausend Männer. Im ersten und größten wohnte Pachomius selbst. Dieses ist zugleich das Mutterkloster, von dem die anderen abstammen; es zählt dreizehnhundert Mönche. Darunter ist der edle Aphthonius, mein vertrauter Freund, der gegenwärtig die Stelle eines zweiten Obern bekleidet. Weil er ein durchaus nicht reizbares Gemüt hat, pflegen die Brüder ihn nach Alexandrien zu senden, damit er ihre Handarbeiten verkaufe und die nötigen Lebensmittel besorge. Ferner gibt es auch Klöster mit zweihundert oder dreihundert Insassen. So traf ich in Panopolis dreihundert. [In diesem Kloster fand ich fünfzehn Schneider, sieben Schmiede, vierzig Bauleute, zwölf Kamelwärter und fünfzehn Tuchscherer.] Sie treiben jedes Handwerk2 und beschenken aus dem Überschusse der Einnahmen Frauenklöster und Gefangene. [Auch treiben sie Schweinezucht. Als ich darob meinen Tadel aussprach, sagten sie: Bei uns ist es immer üblich gewesen Schweine zu halten, um Spreu, Gemüseabfälle und ungenießbare Speisereste, die man nutzlos wegwerfen müßte, verwenden zu können. Die Schweine werden geschlachtet, das Fleisch verkauft, die zarten Teile reicht man Kranken und alten Leuten; denn die Gegend ist arm und die Bevölkerung zahlreich. Es wohnt dort nämlich der S. 384 Volksstamm der Blemmyer.] Sie stehen frühzeitig auf; die einen besorgen sodann die Küche, andere den Tisch, damit alles rechtzeitig in Ordnung sei. Sie legen Brot auf die Tische, Pflanzenkost, Oliven, Rinderkäse und Gemüse. Manche nehmen ihre Mahlzeit zur sechsten Stunde, andere zur siebenten, achten, neunten, elften oder am späten Abend; andere jeden zweiten Tag. Die Zugehörigen jedes Buchstabens wissen genau ihre Zeit. Was die Arbeit betrifft, sind sie auf die verschiedenste Weise beschäftigt: in Feld und Garten, in Schmiede und Bäckerei oder im Baugewerbe oder in der Walkerei, Gerberei und Schuhmacherei; andere flechten große Körbe, wieder andere sind Schönschreiber.
Sie lernen die ganze Heilige Schrift auswendig.
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Dieser Heilige, vordem heidnischer Soldat, wurde Begründer des Klosterlebens im Orient; er baut beim Dorfe Tabennisi (nördl. von Theben) ein Kloster, das schon 328 als blühend bezeichnet wird, gründet außerdem mehrere Männer- und zwei Frauenklöster und stirbt 346 in seinem Lieblingskloster Pheboou. Was hier als seine Regel bezeichnet wird, ist eine der Formen, aus denen sich die maßgebende Pachomiusregel entwickelt hat. [Vgl. in dieser Reihe: Pachomius, Das Leben des heiligen Pachomius.] ↩
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Hierbei waren nicht nur asketische Rücksichten (Abtötung, Vermeidung des Müßigganges und seiner Gefahren), sondern auch praktische maßgebend: die Lage der Klöster und der Lebensunterhalt. St. Benediktus fügt in seiner Regel (c.66) in gewohnter Feinheit noch ein neues Motiv hinzu: "Das Kloster aber muß, wenn möglich, so angelegt werden, daß alles Notwendige, d.h. das Wasser, die Mühle, die Bäckerei, der Garten, sich noch im Bereich desselben befinden und ebenda auch die verschiedenen Handwerke ausgeübt werden, damit die Mönche nicht gezwungen sind, außen umherzuschweifen, weil das durchaus nicht ihren Seelen zuträglich ist." ↩